Aljechin quälen?

"Dein Werk ist ein absolutes Wunder!
Ich danke Dir!
Bis jetzt habe ich nur erlebt, dass man aus Lumpen Papier macht. Du hast aus Papier Lumpen gemacht."

altes jüdisches Sprichwort

Aljechins Persönlichkeit ist, wie wenige andere aus dem Schachmilieu, schillernd, anziehend und widersprüchlich, sein Leben ist ausgesprochen interessant, voller Geheimnisse, fast ist er innerhalb der Schachwelt zur mythischen Figur geworden. Sein Leben ist sprichwörtlich ein Roman und verlangt regelrecht nach künstlerischer Verarbeitung; der Stoff ist so reich, dass selbst ein mittelmäßiger Schreiber hier kaum fehlen kann.

Charles D. Yaffe, der nach eigenen Angaben bereits unzählige „technical, professional and historical works“ veröffentlichte, stellt sich mit seinem ersten Roman „Alekhine’s Anguish. A novel of the Chess World“ der Herausforderung. Leider ließ er dabei zwei wesentliche Überlegungen außer Acht: künstlerische Verarbeitung bedarf in erster Linie eines Künstlers und: viele fühlen sich berufen, aber nur wenige sind auserwählt. Von der Kunst des Schreibens versteht Yaffe soviel wie ein Elefant vom Ballett, genau so ungelenk und täppisch bewegt er sich in der Sprache. Was am Ende herauskommt, ist ein schier unlesbares Buch und ich gestehe, ich habe es nicht über mich bringen können, diese 194 Seiten geballte Banalität und Sünde gegen das gesunde Sprachempfinden wirklich zu lesen. Hieße man Reich-Ranicki, so könnte man sich so aus der Affäre ziehen: „Ich habe es der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, zu Ende gelesen. Aber ich habe gelitten, fürchterlich gelitten. Ich bin ein Leidender, ein Opfer dieses Buches.“ So kann die Aufgabe gar nicht mehr in einer Besprechung bestehen, sondern muss sich in eine Warnung verwandeln, denn mehr als ein Opfer verdient dieses Produkt eines selbstkritiklosen, soap-opera-verseuchten Amerikaners nicht. Es gibt in diesem - beinahe hätte ich „Buch“ gesagt -, es gibt in dieser Blattsammlung, ganz allgemein gesprochen, keinen einzigen bemerkenswerten Satz, keine Abstraktion, keine Tiefe und erst recht keine Höhe, immer plane Ebene und selbst die ist verschwommen, amateurhaft, nein stümperhaft gezeichnet, gleichsam mit beschädigter Linse aufgenommen. Wenn sich Yaffe zu allgemeinen Erkenntnissen versteigt, dann klingt das so (ich lasse es unübersetzt, weil sich die deutsche Sprache gar nicht genug missbrauchen lässt, um derartige Banalitäten adäquat auszudrücken): „As with other artists, each player has his own style, his own concept of how to accomplish his objectives“ (31). Oder: „Even chess players have to eat“ (47) oder ... aber was soll’s´.

Als ob das nicht reiche, ein Schrifterzeugnis in Bausch und Bogen abzulehnen, gesellt sich zur formalen Nichtigkeit auch noch eine inhaltliche Dummheit sondergleichen. Das Buch ist voller Klischees und verrät zu genau den Bildungshintergrund des Autors. Das fängt bei Lenin an, der nie schläft – „Im Kreml ist noch Licht“ - und fürchterlich grausam ist, verweilt bei antiquierten Popularvorstellungen über Russland und die Revolution, dem rot-bolschewistischen Mob, zeigt uns sogar einen stalinistischen Schauprozess bereits im Jahre 1918!!, führt über die permanente Betonung der Sprachkenntnisse von Schachgroßmeistern1, bis hin zu den Deutschen, die ständig „Achtung“ und „This is verboten“ (39) schreien oder Südländern, die schon nach fünfminütiger Bekanntschaft Freundschaften „for life“ schließen, führt zu banalen Frauengestalten, trinkenden Russen und weiß der Teufel nicht alles; am unerträglichsten aber sind die gehäuften Amerikanismen dieser „gang“ of „fucking chess player“, „that folks“, „which get similar kicks“ usw.

Und Dialoge, Dialoge sind da drin, wirklich unglaublich:

- Lupi! I was hoping to find you. How have you been?
- Oh, I’m fine. How about you? ...
- „Welcome to Lisbon,“ he said, raising his glass. Alex tasted the wine and exclaimed,
- „What a wonderful wine!“
- „You like it?“
- „It’s the finest I ever tasted.“
- „I’m happy to hear that. It’s one of ours.“
- „Yours?“
- „Yes my family has been producing premium wines for four generations.“
- „Do you export it? I’ve never come across it anywhere.“
- „Oh, yes....“ (29)

Nach Jahren sehen sie sich wieder und haben sich folgendes zu sagen:

- „Hello?“
- „Lupi? This is Alex.“
- „Alex! Where are you?“
- „Here in Lisbon. How are you?“
- „I‘m fine. What brings you to Lisbon?“
- „I came to see you. Would you have any free time soon?“... (116)

Und nach Aljechins erstem Sieg im Weltmeisterschaftskampf gegen Capablanca, der sein Lebensziel war, kommt es zu folgendem enthusiastischem Dialog:

- Lupi was exultant. „Wonderful, Alex! You really operated that lathe with skill.“
- „Thanks. It’s a relief to have finally won a game from him, after all these years. We can’t be sure about my lathe technique until he opens with a queen pawn. I was surprised at his opening today.“
- “I think he was trying to catch you off-guard, but backfired.“
- Nadyezhda, still clinging to his arm after having hugged and kissed him with fervor, said, „It won’t matter how he opens. Alex will win.“
- „What about dinner? Where would you like to eat? ...“ (121) usw.

 

Ohnehin besteht die Hälfte des Textes aus derartigen Begrüßungsszenen.

Wozu das alles, fragt man sich. Ganz klar, um Zeit und Raum zu füllen. Das ist die Taktik drittklassiger soap operas und das entstammt Köpfen, die sich mit dieser gequirlten Scheiße über Jahre voll gesogen haben - „wollen wir nicht essen gehen“ – und das kommt letztlich davon, wenn solche Leute zur Feder greifen, die zudem nicht kapieren, dass Schreiben Arbeiten heißt, Lesen, Studieren, Experimentieren heißt, vor allem aber Wegwerfen, denn um ein halbwegs gutes Buch schreiben zu können, muss man schon drei andere verworfen haben. Leute, die, weil sie von einer Flut von Geschreibsel umgeben sind, glauben, das könne ja nun jeder.

Und Aljechin? Natürlich, Aljechin. Der verdient wahrlich ein besseres Schicksal als solche Bearbeitungen. Er wird uns hier als Lügner, Heiratsschwindler, Alkoholiker, als sexuell Abnormaler, als Gerontophiler, als Opportunist usw. präsentiert, was er sicherlich in bestimmtem Grade alles war, nur erwarte ich von einem Buch Erklärungen, Hintergründe und Verständnis. Aber was an harten Fakten bleibt, das lässt sich bequem in jedem Lexikon nachlesen und wer Vertiefung sucht, dem sei die Aljechin-Biografie in der Weltmeisterrubrik empfohlen.

Es soll ja Schachenthusiasten geben, für welche die bloße Nennung von Schachgrößen wie Lasker, Capablanca, Bogoljubow oder eben Aljechin schon ausreicht, eine Lektüre für lohnenswert zu halten, die bei jeder fiktionalen Nennung der göttergleichen Namen erschauern und andächtig werden. Diesen kann man Yaffes Produkt zumindest nicht ausreden. Wer jedoch anders geartete Ansprüche stellt, etwa auf die abstruse Idee kommt, eine anspruchsvolle Story, literarisch wertvolle Sätze zu verlangen oder gar nach historischer Akribie dürstet, der solle von dieser zusammengeklebten Seitensammlung unbedingt die Finger lassen und für sein Geld – immerhin 14 Englische Pfund - mal richtig, na was, mal richtig essen gehen. Es enthält nichts, was einen Leser oder einen Schachspieler und schon gar nicht eine Person, die beide Eigenschaften vereint, auch nur annähernd interessieren könnte. Dies ist ein bettelarmes Geschreibsel ohne jegliche literarische Rechtfertigung. Das ist mein letztes Wort und niemand wird mich je zwingen können, diesen Band noch einmal zur Hand zu nehmen! Aus! Fertig!

 

(Charles D. Yaffe: Alekhine’s Anguish. A Novel of the Chess World. McFarland & Company. www.mcfarlandpub.com Jefferson, North Carolina, and London 1999. 194 Seiten)
 

 

Jörg Seidel, 12.03.2002

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Anmerkungen:

1 „Replying in careful but correctly pronounced Portuguese“ (5); „I’m impressed. Now about your German and English“ (6); „... and Alex would room with the Englishman, who spoke neither French nor Russian“ (13); „You speak Portuguese quite well“ (35); „I can handle French, German, and English without any problems, and Spanish reasonable well.. my Portuguese needs a lot of work“ (43); „I’m impressed with your command of languages“ (74); „..then you know Russian, as well as French; Portuguese and English...What others do you speak?“ – „German, Italian and Spanish quite well, and a little Swedish, plus a smattering of maybe a half-dozen Asian languages..“ (136);

Das gipfelt schließlich in einem absurden und historisch peinlichen Sprachwettkampf - was kannst Du, was kann ich - mit Lenin, der Aljechin im an einen alten Dumas-Film erinnernden Gefängnis besucht, um Schach zu spielen (66). - Hat da jemand Komplexe???

 

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Copyright © 2001 by Christian Hörr. Aktualisiert am 26. März 2002.
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