Xie Jun

7. Schachweltmeisterin 1991 - 1996 / 1999 - 2001

* 30.10.1970

Die Chinesin Xie Jun wurde am 30. Oktober 1970 als Tochter eines Angestellten und einer Ingenieurin in der Hauptstadt Peking geboren. Heute zählt sie zu den besten und zugleich erfolgreichsten Schachspielerinnen unserer Zeit. Schon in ihrer Kindheit konnte sie sich für das Chinesische Schach begeistern. Im Oktober 1980 trat sie einem Pekinger Schachclub bei. Schon früh stellte sie ihr beeindruckendes Können im königlichen Spiel unter Beweis. Beispielsweise gewann sie in den Jahren 1984 und 1985 die Chinesische Meisterschaft der Mädchen. Im Anschluss gewann sie viermal nacheinander die Chinesische Frauenmeisterschaft. Inzwischen trägt sie den Großmeistertitel nicht mehr nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern. Xie Jun studiert Englisch an der Universität in Peking, was ihr besonders bei internationalen Konversationen sehr zugute kommt (s.u.).

Den endgültigen Durchbruch landete Xie Jun im Oktober 1991, als sie in ihrem ersten Weltmeisterschaftsfinale die bis dahin unumstrittene Schachkönigin Maja Tschiburdanidse von ihrem Thron stieß. Damit vollzog sich eine Art Wachablösung im internationalen Frauenschach. Als siebente Weltmeisterin der Schachgeschichte beendete das damals 21-jährige "Mädchen mit den Mandelaugen" (Dagobert Kohlmeyer) die 40-jährige Vorherrschaft sowjetischer Frauen als Weltmeisterinnen. Das auf 16 Partien angesetzte Match gewann die Chinesin vorzeitig mit 8,5:6,5 und war damit die erste Weltmeisterin, die nicht vom europäischen Kontinent kam. Mit dieser Niederlage war auch die große Zeit von Maja Tschiburdanidse vorbei, einige Jahre später zog sie sich aus religiösen Gründen ins Kloster zurück.

Zwei Jahre nach ihrem grandiosen Erfolg musste Jun ihren WM-Titel gegen die Georgierin Nana Ioseliani verteidigen. In Monte Carlo fand die Herausforderin nie zu ihrer Form. Jun konnte vor allem durch sehenswerte Schwarzsiege den Wettkampf für sich entscheiden, gegen ihre Königsindische Verteidigung schien kein Kraut gewachsen. Der WM-Kampf, der im Hotel Metropole Palace stattfand, ging mit dem Rekordergebnis von 8,5:2,5 an die Chinesin.

Nach der russischen Dominanz im Frauenschach schien nun auch die georgische ein Ende zu finden. Denn nun brach die große Zeit der Polgar-Schwestern an - und damit verbunden leider auch einige unschöne Querelen. 1996 forderte die Ungarin Zsuzsa Polgar die 25-jährige Chinesin heraus. Im spanischen Jaen unterlag Jun der Ungarin, die von ihrer jüngeren Schwester Judit sekundiert wurde. Trotzdem zeigte Xie Jun menschliche Größe, da sie sich stets fair verhielt und selbst einigen unliebsamen Wettkampfbedingungen zustimmte. Sie wollte den Kampf am Schachbrett ausfechten und nicht im Gerichtssaal, dem Frauenschach zuliebe. Zwar verlor sie dadurch ihren WM-Titel, doch dadurch hat sie im Gegenzug viele Fans gewonnen. Während die Polgar-Schwestern in der Folgezeit immer wieder mit der FIDE und anderen Spielerinnen im Clinch lagen, genoss Jun breites Ansehen: "Xie Jun ist eine würdige, sympathische Weltmeisterin und noch immer ganz ohne Starallüren." (Dagobert Kohlmeyer)

Nach dem Wettkampf in Jaen veröffentlichte Zsuzsa Polgar ihr Buch "Queen of the King's Game". Eine objektive Meinung über seinen Inhalt kann sich jeder machen, der es gelesen hat. Sicherlich fand nicht nur Xie Jun einige Passagen ziemlich anstößig. Den ständigen Forderungen nach einem Revanche-Match kam die Ungarin nie nach, was Jun natürlich sehr verärgerte. Im August 1998 schrieb Xie Jun daraufhin einen offenen Brief an Zsuzsa Polgar, der auch zu Veröffentlichungen im Internet Stellung nahm. Dieser Brief legt den entstanden Konflikt wohl am besten und vor allem ungefärbt dar:

Offener Brief an Zsuzsa Polgar

Peking, 30.08.1998

Nachdem ich mein Match gegen Alisa Galliamova beendet habe, finde ich nun endlich Zeit und Energie, um auf Ihre offenen Briefe und Kommentare zu antworten, die sie auf Ihrer Webseite veröffentlich haben. Einige davon, glaube ich, richten sich an mich persönlich. Und ich bin sicher, dass Sie nicht die ganze Zeit Selbstgespräche führen möchten. Während der beiden vergangenen Jahre habe ich die Updates auf Ihrer Webseite verfolgt, habe mit Geduld Ihr Buch gelesen und sorgfältig Ihre Briefe an die FIDE studiert. Jetzt fühle ich mich verpflichtet, diesen offenen Brief zu schreiben, um einige Tatsachen ins rechte Licht zu rücken. Ich habe ganz einfach nicht eher geantwortet, weil ich mich entschloss, meine Energie für ein richtiges Schach-Match aufzuheben.

Lassen Sie mich zuerst sagen, dass ich nicht die Person bin, als die sich mich in Ihrem Buch „Queen of the King’s Game“ darstellen – ein Buch, das meiner Meinung nach voll ist von falschen Behauptungen. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso Sie über mich und mein Team schreiben, obwohl Sie genau wussten, was wir dachten. Und ich vermute auch, dass sich Sätze wie „sie besiegte die Mächte des Kommunismus“ besser verkaufen lassen als das bescheidene „sie besiegte eine gewöhnliche Schachspielerin aus China“. Ich verwehre mich immer noch gegen die häufige Verdrehung der Tatsachen, schlichtweg der Wahrheit in Ihrer Geschichte und Ihrem boshaften Schreibstil.

Wenn ich an unser Match in Jaen (1996) zurückdenke, habe ich keinerlei gute Erinnerungen. Der Brief von Herrn Rentero war sehr störend für uns beide, weil es uns von dem ablenkte, wofür wir uns eigentlich trafen: um Schach zu spielen. Am meisten ärgerte mich der Zeitpunkt des Wettkampfes, er begann inmitten des Frühlingsfestes, der Jahreszeit der Feste in China. Aber ich habe die Bedingungen akzeptiert und habe mich nicht beschwert, obwohl ich genauso ein paar Klauseln in den FIDE-Regeln gefunden hätte, die eine Verzögerung des Wettkampfbeginns erlaubt hätten. Ich entschloss mich jedoch, dass es nicht im Sinne des Frauenschachs, oder Schach im Allgemeinen gewesen wäre, einen Streit anzuzetteln. Außerdem habe ich nie die Gültigkeit des Ergebnisses angezweifelt. Ich habe mich allein für die Fehler verantwortlich gemacht, die Sie schließlich zur Weltmeisterin gemacht haben. Für den Moment hatte ich den Titel an Sie verloren, ich habe auf unseren Revanchekampf gewartet.

Warum vergessen Sie nicht mal, wer der rechtmäßige Eigentümer des Weltmeistertitels ist. Hören Sie auf, nur zu erzählen und setzen Sie in die Tat um, was Sie auf Ihrer Webseite ankündigen.

Wenn Sie es schaffen, einen Sponsor für den von Ihnen vorgeschlagenen Betrag zu finden (zwischen einer halben und zwei Millionen US-Dollar), wissen Sie ja, wo Sie mich finden – obwohl mir das sehr realitätsfremd erscheint. Ich bin leicht zufriedengestellt und bereit, allen Bedingungen zuzustimmen, die Sie für akzeptabel halten. Leider lässt Ihr Statement, Sie würden unter keinen Umständen in China spielen, all meine Bemühungen im Ansatz ersticken, einen Sponsor in meinem Heimatland zu finden. Folglich bin ich gezwungen, Ihnen diesen Job zu überlassen.

Jedoch möchte ich noch etwas hinzufügen. Nach uns wird es eine neunte, eine zehnte und noch viele weitere Weltmeisterinnen in der Geschichte des Schachs geben. Der Titel gehört niemanden besonders und er sollte auf dem Schachbrett und nicht im Gerichtssaal verteidigt werden. Zugegeben ist die derzeitige Situation unbefriedigend, aber Beleidigungen und verletzende Worte wird zukünftige Sponsoren eher abschrecken als anziehen. Wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, Schach und besonders Frauenschach zu vermarkten, dann sollten Sie Ihr Bestes geben, um sicherzustellen, dass wir gegeneinander spielen können. Sie werden den großen Vorteil bei der Vorbereitung haben, dass es keine Datenbank gibt, in der Partien von Ihnen aus den letzten dreieinhalb Jahren gespeichert sind. Andererseits, wenn Sie entschieden haben, nicht mehr ernsthaft Schach zu spielen, dann geben Sie das endlich zu und hören Sie auf, ständig Ausreden zu erfinden.

Ich erwarte keine persönliche Antwort auf diesen Brief, weil ich Besseres zu tun habe als englische Prosa zu üben. Informieren Sie mich nur, wenn Sie einen Sponsor gefunden haben, der Ihren Erwartungen entspricht. Mich interessiert nur, ob wir uns am Schachbrett wiedersehen oder nicht. Ich würde mich darauf freuen. Lassen wir die Schachfiguren sprechen.

Herzliche Grüße, Xie Jun.

Zsuzsa Polgar kam der Bitte Xie Juns niemals nach. Der Konflikt der beiden gipfelte, als Zsuzsa Polgar 1999 nicht zur fälligen Titelverteidigung antrat. Folglich entzog die FIDE ihr den WM-Titel, welcher nun zwischen den beiden Herausforderinnen Xie Jun und Alisa Galliamova (Russland) ausgefochten wurde. Hoch motiviert konnte die chinesische Vorkämpferin den langersehnte Titel zurückgewinnen.

Im Jahr 2000 beschloss die FIDE, die Weltmeisterschaft der Frauen, genau wie die der Männer, im K.o.-System auszurichten. Im Gegensatz zu Anatoly Karpov stellte sich Xie Jun dem neuen Modus. In Neu Delhi schaltete sie Matwejewa (RUS), Sajaz (RUS), die Europameisterin Natalja Shukowa (UKR), sowie mit Glück und Geschick die starke Jekatarina Kowalewskaja (RUS) aus. Im Finale, das auf vier Spiele angesetzt war, sicherte sie sich den Sieg gegen ihre Landsfrau Qin Kanying gleich in der ersten Partie, wo sie mit der Spanischen Partie den einzigen Gewinn verbuchen konnte. Die drei weiteren Partien gingen nach hartem Kampf remis aus.

1998, also zur Zeit, als Zsuzsa Polgar noch Weltmeisterin war, veröffentlichte Xie Jun ihr Buch "The Life and Games of Xie Jun". Sie vertrat ihr Land auf vielen Veranstaltungen. Mit der Frauenmannschaft Chinas gewann sie die Goldmedaille bei den Olympiaden in Elista 1998 und in Istanbul 2000.

Ein Indiz für den schwierigen Weg von Xie Jun ist vielleicht noch folgendes: Von den in Neu Delhi gewonnenen 120.000 $ muss sie den Großteil an den chinesischen Staat abgeben. Doch mit Sicherheit nimmt sie auch das in Kauf, das Schach bedeutet ihr alles. Xie Jun ist wahrlich eine "Königin des Schachs".

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http://www.koenig-plauen.de
Copyright © 2001 by Christian Hörr. Aktualisiert am 23. Dezember 2001.