RUBRIKEN
Home
Verein
2. Bundesliga
Teams II - V
Nachwuchs
Metachess
BEYOND CHESS
Metachess
weitere Artikel
SPONSORING

1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2006/2007
 

Gipfelstürmer und Tiefseetaucher im Lokschuppen
oder wenn wenig Mehrwert mehr wert ist

"Der Vergangenheit nachtrauern, von der Zukunft träumen und die Gegenwart verschlafen: das ist das Geheimnis des Erfolges." (Johannes Rau)

Wer am Morgen betet, hat den Rest des Tages Zeit für Spaß und Sauereien. Richtig versaut wird der Tag aber erst dann, wenn es deutlich vor dem Morgengebet an der Haustür schellt, also die Glocken an der verschlafenen Wettinstraßenhaustür läuten und ein schmieriges "Guten Morgen! Ist der Johannes schon aufgestanden?" gnadenlos daran erinnert, dass das sonnige Novemberwochenende zwar nicht auf einen U20-Termin gefallen ist, aber zum auswärtigen Fischen in der 1. Landesklasse ruft - und plötzlich nur noch fünf Minuten bleiben, das ohnehin schon tragische Wochenende zu verfluchen, die Freundin zu hinterlassen, aber auf die Marx'sche Mehrwerttheorie keinesfalls zu verzichten, sie stattdessen zu repetieren, schon auf dem Weg zur Notdurft, die Treppe herunter, zum Verkehr mit anderen Menschen, obwohl er das Bedürfnis für Bewusstsein und Sprache noch nicht gefunden hatte, Bruder Johannes im Halbschlaf lediglich ein bisschen nachtrauerte, doch nicht in Jößnitz gewesen zu sein.

"Die Partien nur nicht zu zeitig remis geben, erst einmal abwarten, was passiert", wie sich also die Stellungen entwickeln, so die Lehre aus der kürzeren Heimspielvergangenheit, prolongiert auf den selbstständig tänzelnden Götz'schen Zeigefinger, in der staubig-zonigen Veranstaltungs- und Beratungsraumluft des Lokschuppens, zumal Olaf Dobierzin, Wolfgang Just und Anet Gempe währenddessen im Hotel Alexandra gegen Plauens Erste in der Oberliga zusammen äußerst mühsam nach wenigstens einem halben Pünktchen suchten, dagegen im heimischen Lokschuppenaufgebot spürbar fehlten.

Aber damit ist das Leipziger Aufstellungsfragment noch nicht vollständig beschrieben, eine riesige Besetzungslücke klaffte zudem an den Brettern drei und vier. Während Johannes Titz nach nur einem einzigen Zug vollends zur Inhalierung der Mehrwerttheorie zurückkehren konnte, zum Grundpfeiler der materialistischen Orientierung, also die schleichende Plauener Führung in Gang setzte, sah sich Andreas Götz nur für vierzig Minuten der friktionellen Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Christof Beyer hatte da schon längst als Kompensation für einen geopferten Bauern einen hingestellten seines Gegners erhalten, zuzüglich einer komfortablen Stellung. Und auch Lion Pfeufer strahlte am Spitzenbrett Angriffslust gegen FM Gottfried Braun aus. Unter Ausnutzung der gedrückten schwarzen Verteidigungsstellung sollte der vorstürmende Bauer auf der g-Linie, in Verbindung mit der anschließenden Schwerfigurenverdopplung auf der e-Linie, im Idealfall eine gegnerische Leichtfigur abschleppen. Christian Hörrs Weißpartie entwickelte sich ebenfalls solide, ganz im Sinne seiner häuslichen Vorbereitung wurde hier eine geschlossene sizilianische Bügelkanne, mit einer Öffnung auf e6, ausgegraben, die später die 2:0-Führung erlaubte.

In den Schwarzpartien der Plauener zeichneten sich dagegen Vorteile für die Leipziger Gastgeber ab, die Eröffnungsbehandlung von Etienne Engelhardt und Daniel Butzke bewegte sich am unteren Ende der Euphorieskala. Von Mehrwert nach der Eröffnung konnte jedenfalls überhaupt nicht die Rede sein. Während Maria Fuchs am sechsten Brett ohne Mühe und Gegenwehr in Richtung Königsstellung marschierte, Etienne Engelhardt bis zum bitteren Ende nicht aus den Augen ließ, hatte sich Ilia Khassine schon ans Nachbarbrett gesetzt, denn Daniel Butzke hielt ohnehin nicht viel Arbeit für ihn bereit. Zu untersuchen, ob dagegen nebenan im geschlossenen Sizilianer überhaupt noch ausgeholfen werden konnte, war unbestritten die größere Herausforderung. Zudem deutete Albrecht Steiners Leistungskurve, die sich sequentiell auch schon mal zwischen 2400 und 1200 DWZ-Punkten bewegt, an diesem Tag eher einen Swing in Richtung Tauchstation an. Nach Christian Hörrs souveränem Sieg und den beiden beklagenswerten Schwarzpartien war das Match plötzlich wieder offen. Christof Beyer hatte in der Zwischenzeit ungewöhnlich flott gespielt, aber eben nicht weit genug gerechnet: Die Kombination, in deren Folge die gegnerische Dame und zwei Leichtfiguren hingen, wollte er mit dem Gewinn einer Leichtfigur krönen - zu ungeduldig, denn dabei unterschätzte er die eigene schwache Grundreihe, musste also selbst eine Figur opfern, um sich der zwischenzeitlichen Mattdrohung zu entziehen; der Positionsvorteil war ausgelöscht, wenigstens blieb die Stellungsdynamik erhalten.

Das Motiv der unterbrochenen Türme nutzte Sergej Lozovoy zu einem ungewöhnlichen Qualitätsgewinn und kurz darauf zu einem wichtigen Schwarzsieg, der die Plauener wiederholt das Match anführen ließ. Völlig unerwartet kam hingegen der ganz große Fang in Christof Beyers Mattnetz. Ausgerechnet die vernachlässigte Grundreihe, dieses Mal die seines Gegners, brachte den vollen Punkt, gab also am Ende den Ausschlag. André Dorsch verpasste den vierten Sieg im vierten Spiel, verbessert habe er sich in der letzten Zeit, so FM Gottfried Braun, wenn man die Eröffnung und das Finale, dieses Mal zumindest, außer Acht lässt. Dass die Absicht, eine Mehrfigur zu fangen, letztlich auch bei Lion Pfeufer fehlgeschlagen ist, weil er nicht tiefgründig genug war, sich die Angel noch als zu schmächtig für den FIDE-Meister erwies, blieb glücklicherweise für die Plauener Könige ohne Folgen.

Unverzüglich führte nun Andreas Götz die Punktteilung herbei, nicht zu zeitig, das Remis, genau im richtigen Augenblick, den halben Punkt mit beiden Händen fest an sich reißend. Es gewinnt, wer zum Schluss remisiert, denn dann ist so ein halber Punkt plötzlich zwei Punkte wert.

 

Lok Leipzig-Mitte III
SK König Plauen II
:
FM Dr. Braun, Gottfr.
2187
Pfeufer, Lion
2105
1
:
0
Sonntag, Hermann
1932
Lozovoy, Sergej
1937
0
:
1
Grüner, Sven
2024
Titz, Johannes
2013
:
+
Beyer, Till
1993
Götz, Andreas
2062
½
:
½
Dorsch, André
1907
Beyer, Christof
1957
0
:
1
Fuchs, Maria
1805
Engelhardt, Etienne
1883
1
:
0
Steiner, Albrecht
1680
Hörr, Christian
1869
0
:
1
Khassine, Ilia
1661
Butzke, Daniel
1896
1
:
0

 

Christof Beyer
Copyright © 2001- 2025 by Christian Hörr
letzte Änderung: 05.12.2022