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1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2006/2007
 

Schlafes Bruder und die weiße Dame
oder warum das Feuer die Strohpuppen nicht erreichte

Dass Jens Dechering nicht vergessen möge, dass er heute unbedingt noch mal mit ihm reden muss, schwurbelte es lauwarm bis an die Grundstellungen im Hotel „Alexandra“. Gerade ein halbes Jahr war seit der letzten Begegnung vergangen, und schon gastierte Leipzig-Südost erneut in Plauen, in seiner Eigenschaft als Dauerbesucher. Dem SK König ist zwar die Heimstärke dieser Leipziger Mannschaft, die 2004 in die erste Landesklasse aufgestiegen war, noch gänzlich unbekannt, nicht aber verborgen geblieben ist deren Schwäche für den ausgedehnten Auswärtsaufenthalt, der zwischen vierstündiger Anreise bei Schnee bis hin zur vorherigen gemeinsamen Übernachtung in totaler Teamgeistmeditation variiert. Zwar hatten die Plauener das letzte Mal 5:3 gewonnen, aber einen Erfolg, den man umarmen möchte, gab es für sie bisher noch nicht.

 
Erster Sieg seit Dezember 2003: Christian Hörr

Zumindest der nominelle Vorteil an nahezu allen Brettern, die simple Magie der Stammaufstellung, deutete dieses Mal die Aussicht und die Absicht auf mehr an. Entscheidungsfreudige Partien, so die ausgelotete Erwartungshaltung zum Saisonbeginn. Und so sollte das Auftaktremis zwischen Johannes Titz und Jörg Frowitter tatsächlich die einzige Punkteteilung bleiben. Allerdings gab es am Spitzenbrett bereits nach zwei Stunden Anlass zur Sorge: Schnellspieler Tomas Zeleny hatte mit Schwarz nicht den Hauch einer Chance, seine ungeduldige Schlagfrequenz war gegen den gelassenen Sven Kreigenfeld das falsche Mittel. Wie ein gehetztes Tier irrte er auf dem Brett letztlich ins strategische Fiasko und brachte die Plauener Könige bald darauf in Rückstand. Etienne Engelhardt hatte dagegen zwischenzeitlich schon zwei Mittelbauern vom Brett genommen, und nach dem rabiaten Leichtfigurenopfer seines Gegners war wenigstens der Ausgleich geschafft. Der aber nur von kurzer Dauer war, denn Sergej Lozovoy sollte an diesem Tag der zweite Plauener Spieler sein, der mit den schwarzen Figuren kein Feuer entfachen konnte. Obwohl Andreas Götz seinen Vorteil im Endspiel fast schon aus der Hand gegeben hatte, erkämpfte er mit seiner ganzen Erfahrung, gerade solchen trügerischen Stellungen noch einen zusätzlichen Schwindel zu verpassen, den erneuten Ausgleich, der jedoch zweifelsohne ab diesem Zeitpunkt ein glücklicher war. Denn die drei noch laufenden Partien verrieten, dass die Plauener Könige am Rand einer Auftaktniederlage standen. Günter Leister drohte mit seinen Schwerfiguren in Christian Hörrs entblößte Königsstellung einzudringen, während sich Lion Pfeufer, ausgerechnet im Endspiel seiner Heim- und Hofvariante, mit Läufer und Springer gegen das Läuferpaar erwehren musste. Nur bei Christof Beyer zeichnete sich der volle Punkt ab, als er mit einer Mehrfigur ins Endspiel abwickelte. Doch dann schüttelte Christian Hörr seinen Kopf zu einem ganz fulminanten Headbanging, hatte er doch tatsächlich in den letzten zehn Minuten, die ihm verblieben waren, in einem anscheinend nur zum Schein geführten Entlastungsangriff einen Turm erobern können – und kurz darauf die erstmalige Plauener Führung. Lion Pfeufer, der Rößnitzer Aspirant auf den Titel Plauener Meister 2006, musste hingegen seine Verteidigung beenden. Das gegnerische Läuferpaar hatte sich durchgesetzt, so wie es Andreas Götz befürchtete, und also vorhergesehen hatte. Die Tripelnull an den ersten drei Brettern blieb jedoch – ganz kurios – ohne Folgen, denn noch mehr Eindruck hinterließ das Quadrupel an den Brettern fünf bis acht.

„Die Partie schau’n wir uns heute Abend sowieso noch mal an“, so Christof Beyers Gegner. Zu Recht, denn schließlich gehörte Leipzig-Südost der gefühlte Sieg. Allein die Partieanalysen reichen für einen langen Abend, gemeinsame Übernächtigung wahrscheinlich, gemeinsame Übernachtung keinesfalls ausgeschlossen, mit einem finalen wehmütigen Blick in die kosmische Strahlung. Danach müssen wir noch mal reden. Und Günter Leister wird viel zu erzählen haben. Nicht nur über die weiße Dame, die ihm erschienen war, Diagonalzüge tänzelnd von a5 nach c7 mit Schachgebot und danach von eben dort weiter, immer weiter, ungebremst bis nach f4 zum Turmauslöschungsfeld, so dass ihm, dem Südostler, die Medusa aus dem Hemd sprang. Den griechischen Mythos besiegt wie im Rausch.

Nur, warum hat Thomas Reiter nicht einfach aufgelegt? Schließlich hat er doch vorher wunderbar geschlafen.

 

SK König Plauen II
SF Leipzig-Südost
:
Zeleny, Tomas
2157
Kreigenfeld, Sven
1996
0
:
1
Pfeufer, Lion
2084
Alf, Michael
1959
0
:
1
Lozovoy, Sergej
1937
Dechering, Jens
1934
0
:
1
Titz, Johannes
2013
Frowitter, Jörg
1882
½
:
½
Götz, Andreas
2062
Toumanski, David
1885
1
:
0
Beyer, Christof
1957
Stöckel, Jens
1849
1
:
0
Engelhardt, Etienne
1883
Andreadakis, Lutz
1767
1
:
0
Hörr, Christian
1873
Leister, Günter
1777
1
:
0

 

Christof Beyer
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letzte Änderung: 05.12.2022