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1. LANDESKLASSE SACHSEN St. B – Saison 2007/2008
 

Das Leipziger Allerlei der zornigen Altersdebilität
oder wann man die Gesellschaftsfähigkeit verliert

 

"Vor netten Menschen sollte man sich hüten, denn die haben meistens keinen Geist."
(Thomas Bernhard)


Sergej Lozovoy: "Warum spielst du denn gegen Schwächere Grünfeld-Indisch?"
Mathias Paul: "Weil ich nichts anderes kann."
Sergej Lozovoy: "Gegen solche Gurken darfst du so was nicht spielen."


Ganz aus dem Tritt gerieten die Plauener plötzlich, als sie im vergangenen Jahr ausgerechnet zu Hause gegen den SC Leipzig-Gohlis verloren, denn auch danach waren ihnen die wichtigen Punkte um den Aufstieg vor allem in der heimischen Gemütlichkeit des Hotels Alexandra abhanden gekommen. Dieses Mal hatten eben dort die Höllenglocken schon zum Saisonauftakt geläutet. Um die Vergänglichkeit der ersten beiden Mannschaftspunkte wurde also bereits getrauert, so dass es nun an der Zeit war, diese lästige Verkrampfung endlich loszuwerden, dass die zweite Mannschaft in die neue Saison sogar mit einer noch stärkeren Aufstellung starten konnte. Eine Tatsache, die den Lauf der Dinge hätte so leicht und zielsicher machen können, stattdessen aber wie eine Ladehemmung wirkte.

Zwar fehlte dieses Mal Olaf Hilbig, dafür aber war Andreas Götz rechtzeitig vom Schwarzen Meer zurückgekehrt, und der hatte ja noch eine alte Rechnung mit Hermann Mauersberger zu begleichen. Freilich musste er dafür den feinen weißen Sandstrand und die spätsommerlichen Temperaturen hinter sich lassen, denn im Leipziger Sportforum hatte es schon auf den ersten Blick den Anschein, als würden sich dort graue Aschepartikel in einer unterkühlten Luft bewegen, in der gleichzeitig Dinge über die Datumsgrenze hinaus konserviert werden sollten. Ausgestopftes neben Lebensimitation, Totes neben fast Totem, übertrug sich auf die Partiestellungen, und nach einer Stunde dachte Sergej Lozovoy zum ersten Mal laut über die Kurzatmigkeit in seiner Partie nach, dass er wohl jetzt bald seinen Gegner matt bekomme, um dem sichtbaren Positionsverfall ein Ende zu setzen. Aber zufrieden war er danach überhaupt nicht, einzig die Geschwindigkeit, mit der sich erwartungsgemäß alles ganz schnell auflöste, konnte ihn trösten. Der frühen krawallartigen Führung folgte eine Punkteteilung in der Skandinavischen Partie zwischen Christian Hörr und Peter Piekarz - völlig ohne Spektakel. Währenddessen vergrößerte Andreas Götz den Bauernvorteil zu einer Mehrfigur. Den abschließenden Königsangriff über die h-Linie schmückte er jetzt nur noch mit ein paar zornigen Springergabeln und hübschen Mattbildern. Hatte es doch zum ersten Mal jemand gewagt, gegen ihn mit b2-b4 eine ernsthafte Wettkampfpartie zu eröffnen, die aber eher an entartete Schachkunst erinnerte als an alte Gerhard-Rehbein-Schule. Der Bauernmajorität am Damenflügel zum Erfolg zu verhelfen, mag zwar in der Grünfeld-Indischen-Verteidigung oftmals eine sehr zähe Angelegenheit sein, aber Mathias Paul hatte es ja auch, wie von Sergej Lozovoy präzise beobachtet, mit einem schwächeren Gegner zu tun, der in hochgradiger Zeitnot noch viele Züge zu machen hatte, aber nicht mehr in der Lage war, die positionellen Krater im Endspiel zu beseitigen, bis plötzlich ein Turmeinsteller die Partie einzügig für den Plauener entschied. Friedrich Beckel quittierte eine Niederlage nach der anderen auf dem Spielberichtsbogen, immer mit einem freundlichen Lächeln, fast schon als Zeichen der Entschuldigung, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist. Und er hatte gleich erneut Anlass, sich nach dem Geschehenen zu erkundigen, als Gesprächsgeräusche vom sechsten Brett zu vernehmen waren. Etienne Engelhardt hatte die ganze Partie über eine passive Position gegen Dr. Thomas Prause auszuhalten gehabt, aber offensichtlich schien der Spielverlauf noch eine unvorhergesehene Wendung bekommen zu haben.

"Die Partie ist auch verloren gegangen, da biete ich jetzt mal Remis", so Friedrich Beckel, ohne vor dem spontanen Gebot noch einen Zug ausgeführt zu haben, war er sich doch beim vermeintlichen Spielstand von 0,5:4,5 einer sofortigen Einwilligung in die Punkteteilung gewiss. Über dieses Remisangebot wollte sich Christof Beyer aber erst Gedanken machen, es sich einfach überlegen, denn nicht nur der Spielstand war sehr komfortabel, sondern auch die Partiestellung, und auf einmal kehrte Friedrich Beckel das Innere komplett nach außen, tauschte die oberflächliche Freundlichkeit gegen die hässliche Bösartigkeit aus, und also schoss die Gesellschaftsunfähigkeit aus dem zornigen Beckelkopf subkutan heraus: Dass er dann das Remisangebot wieder zurücknehmen würde, wenn darüber erst noch nachgedacht werden müsse, nein, womöglich zehn Minuten auf seine Bedenkzeit überlegen, das käme für ihn nicht in Frage, und da er ja selbst am Zug sei, könne er das Remisangebot selbstverständlich wieder zurücknehmen, im übrigen habe er ja auch gar nicht Remis angeboten, er hatte jedenfalls nichts gehört oder gäbe es dafür Zeugen? (Hätt' mer ein' da?) Bereits hier hätte statt eines Zeugen höchstens noch ein Neurologe, vermutlich aber nur noch ein Pfleger helfen können, denn das Repertoire der Armseligkeit und Unzurechnungsfähigkeit des Mannschaftsleiters war ein ganz erlesenes und gleichzeitig ein kaum zu kontrollierendes. Dass er es sich nämlich überlege, auf Zeitüberschreitung zu reklamieren, deshalb könne er auch nicht sein Partieformular zum Nachtragen der gegnerischen Züge zur Verfügung stellen, auch dann nicht, wenn die 40 Züge zweifelsfrei erreicht waren. Nur noch weitere sechs Züge, und die Partie war schließlich beendet. Auch Andreas Götz hätte den a-Bauern einfach mal laufen lassen. So richtig mit viel Schwung. Aber bitte nicht beraten und fotografieren während der Partie. "Sind wir jetzt beim Essen oder bei der Biologie?" Das Kulinarische musste sich noch gedulden, denn die pathologischen Beobachtungen waren noch nicht ganz abgeschlossen, obwohl Mathias Paul vergangenes Fleisch auf den Tod nicht ausstehen kann.

Ein Autogramm nach dieser denkwürdigen Partie hatte sich Christof Beyer von Friedrich Beckel nicht erhofft. Allein ihn aber darauf anzusprechen, ihn lediglich darum nett zu bitten, den schlichten Geist einem letzten simplen Experiment zu unterziehen, dieses krönende Testergebnis fehlte noch. "Nein, bei Mannschaftskämpfen muss man nicht unterschreiben, außerdem haben das alle hier gesehen." Man hüte sich vor Menschen, die im Alter ihre Bestimmung in der exhibitionistischen Verhaltensstörung finden. Ladehemmung wäre dann Gift.

Und Etienne Engelhardt hatte übrigens vorher lediglich die Punkte geteilt. Aber das spielte keine Rolle mehr, denn Lion Pfeufer und Johannes Titz hatten inzwischen ihre Partien ebenfalls remisiert, so den ersten vier Punkten noch zwei halbe hinzugefügt, damit den ersten Saisonsieg gesichert. Christof Beyer konnte schließlich in aller Ruhe seine Beobachtungen abschließen und den ganzen Punkt abholen. Und dafür gab es Zeitzeugen, Schaulustige und einen Paparazzo.

"Das ist nichts Neues, der streitet immer", klagte der Benjamin dieser Mannschaft, Dr. Thomas Prause, als bestünde dessen größte Angst genau darin, sich im Alter einer solchen Verhaltenstransformation hinzugeben, womöglich gar einer totalen Verbeckelung anheim zu fallen.

Stellung nach dem 42. Zug a4-a5
42. ... Df3-f4
43. a5-a6 - Df4-d6
44. Dd8xd6 - Te6xd6
45. a6-a7 - Td6-a6
46. Te1-a1.

Danach war vom Leipziger Mannschaftsführer nur noch ein finales Röcheln zu vernehmen und ein letzter stummer Eintrag auf dem Spielberichtsbogen. Das Gerontentum hinterließ den Eindruck, als würde zumindest die eine Hälfte nächstes Jahr nicht mehr in der 1. Landesklasse wieder gesehen werden können. Pfarrer Greiner aus Plauen hält übrigens die besten Reden. Bei ihm verkommt sogar das Wort Einzelhaft nicht zur belanglosen biografischen Fußnote, sondern flammt noch ein letztes Mal auf zur postmortalen Erotik.

 

SC Leipzig-Gohlis IV
SK König Plauen II
2
:
6
Dr. Weber, Bernd
2043
Pfeufer, Lion
2069
½
:
½
Starke, Burkhard
2025
Lozovoy, Sergej
1984
0
:
1
Beckel, Friedrich
1978
Beyer, Christof
2003
0
:
1
Mauersberger, Herm.
2002
Götz, Andreas
2061
0
:
1
Piekarz, Peter
1943
Hörr, Christian
1894
½
:
½
Dr. Prause, Thomas
1904
Engelhardt, Etienne
1856
½
:
½
Schulze, Peter
1813
Titz, Johannes
1956
½
:
½
Türke, Manfred
1868
Paul, Mathias
2143
0
:
1

 

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letzte Änderung: 05.12.2022