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1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2007/2008
 

Über ungleichfarbige und paarige Läufer
oder der Apfel als Süßspeise zwischen Olymp und Hades

 

"Auch den Kerberos sah ich, mit bissigen Zähnen bewaffnet, böse rollt er die Augen, den Schlund des Hades bewachend. Wagt es einer der Toten, an ihm vorbei sich zu schleichen, so schlägt er die Zähne tief und schmerzhaft ins Fleisch der Entfliehenden und schleppt sie zurück unter Qualen, der böse, der bissige Wächter." (Aus Homers "Odyssee")


"Mein lieber junger Mann, wissen Sie das nicht? Wenn eine Stellung mit ungleichen Läufern gewonnen ist, dann ist es so schrecklich gewonnen, ohne Gegenchancen."
(Gedeon Barcza nach seiner Partie gegen Heikki Westerinen, Leningrad 1967)


Beim Hunde – so wie einst Sokrates – darauf hätte Mathias Paul auf keinen Fall schwören können, denn irgendwie musste Sergej Lozovoy die Sache mit der Grünfeld-Indischen Verteidigung völlig falsch eingeschätzt haben, weil gerade gegen schwächere Gegner spielt sich diese Eröffnung viel leichter als gegen stärkere Gegner, und zwar sehr viel leichter - und eben nicht viel schwerer, wie es stattdessen die Lozovoy’sche These vertrat, die Mathias Paul keine Ruhe mehr ließ, so dass er über deren Widerlegung noch einmal gründlich nachgedacht hatte, allein schon deshalb, weil sich der Leipziger Thomas Gempe für die Partie in der zweiten Bundesliga ausgerechnet auf diese Eröffnung vorbereitet zu haben schien, und also nicht mit dem Königsbauern eröffnete, sondern auffällig zum Damenbauern griff. Im Angesicht dieses imposanten weißen Läuferpaars, einige Züge später, hätte Mathias Paul für einen Moment am liebsten jener Eröffnung für immer abgeschworen, höchstens damit in der 1. Landesklasse erneut auszuhelfen, hätte er sich noch vorstellen können, zumal gegen Grimma dieses Mal gleich drei Leute nicht zur Verfügung standen. Bereits nach dem dritten Spieltag gibt es nur noch drei Stammspieler, die bisher immer dabei waren, die also nahezu hoffnungslos renitent sind, denen beispielsweise noch nicht der Hals gekratzt hat, die währenddessen keine Projekte am Laufen haben, die sich noch nicht in den Hades begeben wollen, vielleicht auch nur aus großer Angst, womöglich am Sonntagmorgen das Wort Familienplanung ins Ohr geflüstert zu bekommen, das so gar keine Phonetik besitzt, ein Wort, bei dem sich nicht der Takt mit den Füßen schlagen lässt, auch wenn man währenddessen ganz ambitioniert und andächtig gestreichelt wird.

Wenn der weiße König im Mittelspiel nach einem gegnerischen Einschlag erschrocken auf der dritten Reihe umherirrt, einer Odyssee ein großes Stück näher ist als einer Wanderung, sich mehr auf der Flucht befindet als bei einem Ausflug, weil er, der weiße König, plötzlich nicht mehr weiß, wo er zu Hause ist, außerdem auf dem Brett davor sichtbar wird, dass im Endspiel ein Bauer weniger seine Arbeit verrichtet als beim Gegner, kann es auf Plauener Seite schon fast nicht mehr trösten, dass wiederum sechs Bretter dahinter, also am vorletzten Brett Daniel Butzke bereits die in der Eröffnung entstandene Stellung fest im Griff hatte, bis er schließlich deutlichen Materialvorteil erreichte und bald darauf die Partie unangestrengt zum 1:0 gewann. Aber die Führung war nicht von langer Dauer, denn die beiden Niederlagen von Olaf Hilbig und Sergej Lozovoy, der abwegige König einerseits, das abgängige Endspiel andererseits, ließen düstere Erinnerungen an den völlig verkorksten Saisonauftakt wach werden. Und doch war dieses Mal einiges anders als zum besagten Saisonbeginn, das Entscheidende war anders – endlich wurden frühe Remisangebote abgelehnt, wie im Fall von Johannes Titz, dem immer noch die Spielpraxis fehlte, aber eben nicht die Spielfreude, und im Fromms Gambit, beim besten Willen, da kann er gar nicht anders, der Johannes, das Friedliche löst sich in ihm auf, ist dann ganz und gar nicht mehr seine Sache, da schlägt er gern seine Zähne in das Fleisch des Entfliehenden, bis der ruhelose König keine Rast mehr findet, im Feld getroffen umfällt. Und nachdem Christof Beyer in einer durch und durch strategischen Partie den Vorteil des Läuferpaars gegenüber dem Springerpaar mit einer kleinen taktischen Raffinesse ausspielte, drehte sich das Match zwar zu Gunsten der Plauener Gastgeber, aber die drei noch laufenden Partien ließen den endgültigen Ausgang weiterhin völlig offen.

Mario Tunger verschmähte in der Eröffnung einen Mehrbauern, erreichte aber trotzdem eine riesige Stellung, während sich Etienne Engelhardt, wie im letzten Jahr, wiederum im Caro-Kann gegen Daniel Schröder zu verteidigen hatte. Mit einem kleinen Vorteil auf seiner Seite schlug Andreas Götz indes das gegnerische Remisangebot aus. Mario Tunger verdarb schließlich seine gute Position auf die rustikalste Art und Weise, statt eines Mehrbauern geriet er in eine Stellung mit zwei Bauern weniger – ohne jegliche Kompensation. Etienne Engelhardt hielt dagegen dieses Mal dem Angriffsdruck seines Gegners stand. Die Punkteteilung sollte die einzige an diesem Tag sein und zugleich die Wegbereiterin für einen äußerst knappen Mannschaftssieg. Andreas Götz heckte während der sich verschlimmernden Zeitnot seines Gegners immer neue Mattmotive aus. Irgendwie wollte er beweisen, dass bei ausgeglichenem Material ungleichfarbige Läufer sehr ungerecht werden können, zumal wenn einer der Könige nicht sicher genug steht. Und dann war es auf einmal passiert – eines der Mattbilder entwickelte sich zur Abschiedskulisse. Immer hatte er die Übersicht bewahrt, bis er plötzlich die Früchte seiner Arbeit in der Hand hielt. Remis abgelehnt. Partie gewonnen. Mannschaftssieg gerettet. Manchmal ist Andreas Götz nicht zu fassen. Und dann freut er sich am meisten darüber, wie die anderen gewonnen haben. „Schön, wie du das mit dem Läuferpaar behandelt hast. Das war eine ganz feine Klinge. Bei mir das war’n ungleichfarbige Läufer, aber ich saß immer am längeren Hebel, und mein König stand viel sicherer, das ist in solchen Situationen oftmals ganz entscheidend. Ich sag’s immer wieder.“ Das stürzte selbst jeden leicht zur Ungnädigkeit neigenden Beobachter in seiner Ungeduld in einen Begeisterungstaumel.

Springerpaar gegen Läuferpaar. Stellung nach dem
24. Zug ... Ld5-h1! 25. Sd2–f3 (25. Se5-f3 – Lg7xd4)
– Tc8xc1 26. Tf1xc1 – Lg7xe5 27. Kg1xh1 – Le5xd4

Auch wenn dieser holprige Mannschaftserfolg eher an einen steilen Weg als eine steile Karriere erinnerte, so stolpern die Plauener Könige sogar bis an die Tabellenspitze. Hauchdünn – zwischen Olymp und Hades verbleibt nicht viel Zwischenraum. Was hat denn der Lion mit den Hunden gemacht? Andreas Götz war einfach ein zu aufmerksamer Wächter. Kerberos, nicht weinen.

 

SK König Plauen II
SV 1919 Grimma
:
Lozovoy, Sergej
1937
Collini, Carsten
2050
0
:
1
Hilbig, Olaf
2063
Trott, Mario
2013
0
:
1
Beyer, Christof
2003
Marquardt, Alexander
1945
1
:
0
Götz, Andreas
2061
Schröter, Samuel
1874
1
:
0
Engelhardt, Etienne
1884
Schröder, Daniel
1810
½
:
½
Titz, Johannes
1956
Könze, Peter
1800
1
:
0
Butzke, Daniel
1933
Lausch, Steffen
1793
1
:
0
Tunger, Mario
1873
Pohl, Gunnar
1722
0
:
1

 

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letzte Änderung: 05.12.2022