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1. LANDESKLASSE SACHSEN St. B – Saison 2007/2008
 

Unter dem Eisen des Pyrrhussieges
oder warum Schachgeheimnisse im Trivialen liegen


"Noch so ein Sieg, und wir sind verloren." (Pyrrhus, König von Epirus)

"Habt ihr bei euch Gewinnverbot?" (Jürgen Heinz, ESV Nickelhütte Aue)


Die Verwunderung begann bei Andreas Götz schon eine knappe Viertelstunde vor dem Heimspiel gegen Lok Leipzig-Mitte, denn wiederum hatte Christof Beyer den Weg ins Hotel Alexandra auffällig früh gefunden, nur um das zu beherzigen, worauf John Nunn in vergangener Zeit schon längst mit dem Finger gezeigt hatte, dass er also genau das endlich in sein Herz geschlossen habe, für die so wichtige Zeit davor, und das für alle Zeit, sagte er, und das konnte Andreas Götz vor Erstaunen kaum fassen, dass man die jungen Leute immer noch mit den alten Sachen überraschen könne, dass man sie also noch über die grundlegenden Dinge aufklären müsse, über die Zeitnot vor einer Schachpartie beispielsweise. Mit dem Internet dagegen, da würden sie sich auskennen, die jungen Leute, weil sie da plötzlich zu viel Zeit haben, so Andreas Götz, ihn darüber aufzuklären, sei nicht mehr notwendig, nicht weil er sich auf diesem Gebiet ebenfalls zu den Aufklärern zähle, sondern weil er das Internet einfach nicht mehr bräuchte in seinem Alter, wie er feststellte. Ausschließlich auf die alten Sachen kommt es ihm an, nur die kuscheln sich in der Überlieferung und künden vom Charme der Ewigkeit.

Gegen Dirk Gerhardts Pirc-Aufbau hatte Christof Beyer etwas ganz Positionelles gebastelt. Erst im 16. Zug verließ auf beiden Seiten jeweils ein Springer das Brett, zwischendurch immer wieder diese ganz zarten Bauernschrittchen h2–h3, a2–a3, b2–b3 und g2–g3 auf leisen Sohlen, und nachdem fünf Züge später der erste Bauer getauscht wurde, konnte bei fast vollem Brett die schwarze Position schon nicht mehr repariert werden, so dass der Leipziger ungläubig seinen Kopf bewegte, denn was ihm gerade so schnell widerfahren war, was er eigentlich falsch gemacht hatte, warum jene schwarze Stellung von einem zum anderen Augenblick so kolossal einstürzte, konnte er selbst in der nachträglichen Analyse noch nicht begreifen.

Ausgehebelt. 21. exd5 – cxd5 (21. … exd5 22. Lf4) 22. a4!
22. … Dxb4 23. Tb1 – Dd6 24. axb5 – g4 25. bxa6 – Lxe3?
(25. … Lxa6 26. Lxa6 – Dxa6 27. Ta1 – Db7 28. Teb1 +–)
26. Txb7+ 1–0.

Doch die frühe Plauener Führung war nicht von langer Dauer. Kaum hatte Sergej Lozovoy die Eröffnung abgeschlossen, zündete er auch schon das Brett mit einem zweifelhaften Bauernopfer an, das lediglich mit gutem Willen an einen verspäteten Englischen Angriff erinnerte. Solidität ist einfach nicht seine Sache, den Gegner unvorbereitet anspringen, da findet er schon eher seine Bestimmung. Der Angriff trudelte in ein verlorenes Endspiel, in dem beiderseits Turm, Springer und ein paar Bauern verblieben waren, der ehemals geopferte Bauer fehlte jetzt schmerzlich und kostete schließlich die Partie. Und auch was Daniel Butzke gegen die um ungefähr vierhundert DWZ-Punkte leichtere Gisa Sonntag auf dem Brett probierte, demonstrierte nicht gerade eine Plauener Mannschaft mit unerschütterlichen Aufstiegsambitionen. Der Eröffnungszug g3 erinnerte einerseits an die Verneinung des weißen Anzugsvorteils, anderseits hatte Daniel Butzke dieses zaghafte Eröffnungssystem schon oft gewählt, und zwar viel zu häufig, um nach 15 Zügen nur noch eine halbe Stunde Restbedenkzeit zur Verfügung zu haben, während seine Gegnerin, ohne ernsthafte Probleme gestellt zu bekommen, insgesamt nur eine halbe Stunde verbrauchte, um ganz locker mitzuspielen. Das Remis von Lion Pfeufer war hingegen eher das schwer erkämpfte Ergebnis, den erlittenen Eröffnungsnachteil im Moskauer System nach dessen unpräziser Behandlung doch noch kompensiert zu haben. Wenn man sich wie Etienne Engelhardt schon das sechste Mal hintereinander in dieser Saison mit Schwarz verteidigen muss, fast ausschließlich die selbe Eröffnung aufs Brett bekommt, dann kondensieren sich irgendwann aus einer Wettkampfpartie plötzlich Trainingsmomente, die auf einmal ungeahnte Sicherheit geben, selbst mit dem Engelhardt’schen Dauerschmerz zum Erfolg vorstoßen zu können. Dessen Caro-Kann-Konstruktion brachte die Plauener jedenfalls wieder in Front – und dann lächelten beim Teamchef vor allem die Augen, als hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht als seine Mannschaft mit Caro-Kann zum Sieg zu führen. Und beim Stand von 3:2 rückte dieses Vorhaben immerhin in Reichweite. Olaf Hilbig begann gegen die gern in Zeitnot kommende Anet Gempe die Initiative zu übernehmen, Christian Hörr lavierte im geschlossenen Sizilianer, erst im 22. Zug wurde hier ein erster Bauer verabschiedet, und Andreas Götz hatte inzwischen eine Qualität erobert, nachdem er sich in der Eröffnung noch unachtsam einen Bauern entführen ließ. Aber spätestens die nächste Punkteteilung, am Brett von Olaf Hilbig, kam viel zu früh. Als Christian Hörr danach die Entscheidung erzwingen wollte, stellte er ausgerechnet eine Leichtfigur ein, verlor perspektivlos weitere Bauern und spielte letztlich nur noch weiter, um Andreas Götz noch für eine Weile Gesellschaft zu leisten, denn wie schon gegen Grimma sollte dessen Partie nun den Ausgang der Begegnung bestimmen, ob also noch ein Sieg oder wenigstens ein Unentschieden gegen den an ausnahmslos allen Brettern schwächer besetzten Tabellenletzten möglich erschien. Das nach dem Damentausch entstandene Doppelturm-gegen-Turm-und-Läufer-Endspiel blieb kompliziert, denn für die Mehrqualität besaß Weiß zwei verbundene Freibauern. Als sich Andreas Götz nach einem Schachgebot selbst der Initiative beraubte, den König auf e6 zurückzog statt auf c4 einzudringen, gewann Weiß plötzlich die Oberhand. Fast wehrlos streckte er ein paar Züge später die Waffen. Wo er das Zaubern gelernt habe, wurde Gegner Hannes Münch von seinen Mannschaftskollegen bei der Gratulation zum Sieg gefragt. So blieb am Schluss Ungläubigkeit auf der einen und Ratlosigkeit auf der anderen Seite.

Ein Endspiel so zu verderben, ein gewonnenes dazu, das war Andreas Götz schon lange nicht mehr passiert. Aber wenn man wiederholt als Letzter auf Gewinn spielen muss, und also unter Druck steht, weil längst beendete Partien viel zu früh remis gegeben wurden, man doch erst dann Remis hergeben darf, wenn die Mannschaft bereits die so wichtigen vier Punkte erbeutet hat, genau das sind ja gerade diese alten trivialen Sachen, die Andreas Götz vorher erwähnte, die man den jungen Leuten noch beibringen muss, dann passiert eben so etwas, was gern als unnötige Niederlage bezeichnet wird, stellte er ganz verwundert fest, die Figuren aufbauend, als würde alles noch einmal von vorn beginnen. Dieses Mal hatten ihn einfach die Kräfte verlassen. Zu einem solchen Kraftakt - wie gegen Grimma - fühlte er sich dieses Mal nicht mehr fähig.

Die Könige befinden sich nach dieser schmerzlichen Niederlage mit 9:5 Mannschaftspunkten zwar weiterhin einsam auf dem zweiten Platz, was allerdings den Aufstieg betrifft, da ist die Saison schon für sie beendet - viel zu weit ist er gegenwärtig, der Weg für die Plauener in die Sachsenliga. Sobald sie ihm ganz nahe kommen, zerbrechen sie daran und leiden unter dem Fluch vergangener Siege. Pyrrhussiege sind der Hohn der Vergeblichkeit.

 

SK König Plauen II
Lok Leipzig-Mitte III
:
Pfeufer, Lion
2069
Sonntag, Hermann
1972
½
:
½
Lozovoy, Sergej
1984
Beyer, Till
1959
0
:
1
Hilbig, Olaf
2063
FM Gempe, Anet
1909
½
:
½
Beyer, Christof
2003
Gerhardt, Dirk
1897
1
:
0
Götz, Andreas
2061
Münch, Hannes
1808
0
:
1
Hörr, Christian
1889
Baumgarten, Thomas
1800
0
:
1
Engelhardt, Etienne
1884
Steiner, Albrecht
1623
1
:
0
Butzke, Daniel
1933
Sonntag, Gisa
1557
½
:
½

 

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letzte Änderung: 05.12.2022