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6. EINSIEDLER BRAUHAUS-CUP 2007
 

Archipel Gulag
oder: Wie man sein Turnier unattraktiv macht

Zum Warmwerden für die neue Saison war der Brauhauscup in Einsiedel in den letzten Jahren stets ein dankbares Turnier. Herausfordernd und doch auch zum Punkteholen. Familiär und doch ernst. So sollte es auch diesmal werden, doch von seinem Charme hat das Turnier bei seiner sechsten Auflage praktisch alles eingebüßt.

Für die Wahl-Chemnitzer Christian Hörr, Etienne Engelhardt und Tobias Franz ging es um eine gesunde Mittelfeldplatzierung, für Lutz Espig um die Preisgeldränge. Und eigentlich verlief soweit alles normal: Lutz holte zunächst 3 aus 3 und gewann dann auch noch glücklich dank eines Dameneinstellers gegen Ovsejewitsch (2586). Doch für ganz vorne reichte es auch diesmal wieder nicht. Dafür waren die russischen Turniertouristen einfach zu zahlreich und auch die Kaderspieler sind immer mal wieder gut für einen GM-Skalp. Am Ende 5½ aus 8 und Platz 10 für Lutz.

Nach seinem Amoklauf gegen Karl Gündel steigerte sich Christian Hörr und zeigte auch gegen Manuel Feige (inzwischen 2421) eine ansprechende Leistung. Es folgte das übliche Ping-Pong und in der letzten Runde ein Akt der Großmütigkeit. Schade und irgendwo auch wieder folgerichtig, dass Anja Schulz den Situationswitz nicht erkannte, sich artig und ängstlich für das Remis bedankte und offenbar tatsächlich nicht merkte, dass sie gerade eine Figur eingestellt hatte. Mit 4½ Punkten konnte Christian immerhin seine Wertzahl und seinen Setzrang einigermaßen bestätigen.

Eddi und Tobias konnten sich leider nie richtig aus dem Mittelfeld lösen. Ersterer schaffte durch seinen Schlussrundensieg immerhin ebenfalls 4½ Zähler und auch Tobi hatte bereits eine klare Gewinnstellung gegen das Ehrenfriedersdorfer Talent Christoph Peil erspielt. Doch dann passierte das Unfassbare und es muss leider sein, näher darauf einzugehen.

 

Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit Zeitnotschlachten in den letzten Jahren und auch wegen der ungünstigen Terminierung des 3. Oktober wurde das Turnier in acht statt sieben Runden, dafür aber mit verkürzter Bedenkzeit gespielt. 75 Minuten für 40 (!) Züge plus 30 Sekunden Bonus je Zug, danach 15 Minuten extra ist die kürzeste Bedenkzeit, die die FIDE überhaupt zulässt. Dass der Zeitbonus auch seine Vorteile hat, haben wir schon mehrfach in Pardubice gesehen. Allerdings ist es praktisch unmöglich, in 95 Minuten 40 gescheite Züge zu vollbringen. Das Ganze bekommt spätestens ab dem 20. Zug Schnellschachcharakter und produziert in der Konsequenz viele haarsträubende Fehler und unverdiente Siege. Nicht nur in der Touristenklasse, sondern auch in der ersten Reihe (siehe Espig gegen Ovsejewitsch) wurden zahlreiche Partien durch irrwitzige Patzer entschieden. In keinem Turnier vorher habe ich Awerbach und Pachman so verhöhnt gesehen.

Das eigentliche Problem ist aber, dass für eine Verkürzung der Bedenkzeit überhaupt kein Grund bestand. Jede unbedeutende Stadtmeisterschaft wird wochentags 18:30 Uhr mit üblicherweise 90 für 36 plus 30 gespielt. Am Montag und Dienstag jedoch begann die Runde in Einsiedel schon 17:30 Uhr und war so schon 21 Uhr beendet. Der Unsinn zeigte sich besonders deutlich, als man die Nachmittagsrunde am Sonntag eine Stunde vorziehen wollte, nur um festzustellen, dass eine Seeschlangenpartie bei diesem Modus auch über mehr als vier Stunden gehen kann.

Nehmen wir die lächerliche Bedenkzeit als gegeben hin, werden wir feststellen, dass wir dafür elektronische Uhren brauchen. Mittlerweile ist die Mehrheit der Schachspieler damit ganz gut vertraut. Doch gegen fehlerhafte Mechatronik ist selbst der Profi machtlos. So passierte es Paul Zwahr, dass sein Gegner 20 Minuten überlegte und plötzlich seine eigene Uhr wieder lief. Derselbe verlor ein simpel gewonnenes Turmendspiel, weil ihm die Uhr keinen Bonus mehr geben wollte. Wegen der Hühnerstallatmosphäre passierte es regelmäßig, dass Spieler die falsche Uhr drückten und somit für Aufruhr sorgten – so auch bei Turniersieger Ivanov und IM Bogdanovich.

Das Ganze gipfelte in der letzten Runde, als zunächst in der Partie Hälzig gegen Nötzel von ersterem die Zeit überschritten wurde, obwohl dieser gar nicht am Zug war. Zwar zeigte sich Nötzel sichtlich mitleidig, die Partie wurde jedoch per Tatsachenentscheidung 0:1 gewertet. Der Vorfall konnte letztlich nicht aufgeklärt werden. Doch nur wenige Minuten später geschah das gleiche in der Partie von Tobias Franz gegen Christoph Peil. Tobi hatte bereits einen klaren Vorteil und im 39. Zug noch weit mehr als eine Minute Bedenkzeit. In der Annahme, die Uhr gedrückt zu haben, was später drei Kiebitze auch bestätigen konnten, vertiefte er sich wieder in die Stellung. Tobis Uhr lief trotzdem auf Null. Nach einiger Konfusion wurde erneut Schiedsrichter André Martin herbeizitiert, der sich sogar zu einer Zeugenbefragung hinreißen ließ. Da auch diese nicht eindeutig klären konnte (oder wollte), was passiert war, wurde kurzerhand erneut auf 0:1 entschieden.

(Ergänzung: Vor diesem Hintergrund liest es sich wie eine Farce, dass im offiziellen Bericht die 4,5 Punkte des Christoph Peil so in den Himmel gelobt werden. Von diesen war einer kampflos und einer praktisch geschenkt. Zweifelsfrei hat der Junge Talent und schönes Schach gespielt, aber genau deswegen sollte man sich mit Superlativen zurückhalten.)

Es sind Momente wie dieser, die einem die Lust am Schachspielen nehmen können. Tobi war zwar untröstlich, aber nicht jeder hätte sich einfach so mit derartig viel Ignoranz abgefunden. Ausgerechnet in der Patzerliga, wo es nun wirklich um nichts geht, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Dieselben Leute, die heute auf Tatsachenentscheidung plädieren, fordern das nächste Mal Fair-Play, wenn beim kleinen Christoph das Blättchen fällt und werden dann nicht selten persönlich und beleidigend. Und vielleicht tut es auch einem FIDE-Schiedsrichter ab und zu gut, eine Blitzpartie mit elektronischen Uhren zu spielen, damit er merkt, dass Technik gelegentlich auch nicht das tut, was sie soll.

 

Gut, auch damit kann und muss man sich abfinden. Was von einer weiteren Turnierteilnahme allerdings abhält, sind die lagerartigen Zustände im Spielsaal. Noch letztes Jahr war man teilweise in die benachbarte Turnhalle ausgewichen. Wenn man einen Außenstehenden gefragt hätte, ob er in den kleinen Raum in der Brauerei fünf Tage lang mehr als 100 Menschen pferchen will, wäre mit Sicherheit ein Hinweis auf deutsche oder russische Kriegsverbrechen gekommen. Von allen Seiten wird man beduftet und behustet, nicht selten mit Klimagasen bzw. zähem Auswurf von ganz tief unten. Eine Krankschreibung für den Rest der Woche ist unvermeidlich. 25 Grad, Heizung auf, Fenster zu. In der Tierhaltung wäre das schon eine Straftat. Ganz wichtig ist zudem, dass von den schummrigen Deckenlampen wenigstens das Wandbild und die Bar angestrahlt werden.

Weiterhin fragt man sich, warum ein Spieler erst drei Runden lang nicht erscheinen muss, damit er aus dem Turnier genommen wird. Wozu gibt es einen Meldeschluss, wenn dann in der 1. Runde drei kampflose Paarungen entstehen? Kann man nicht wenigstens die Fehlenden gegeneinander paaren? Dass auch die Live-Übertragung zunächst nicht funktioniert hat, ist lediglich eine Randnotiz.

 

Es mag hart klingen, aber der 6. Brauhauscup hat sich am Rande der Menschlichkeit bewegt. Als Höhepunkt muss da schon das Beuteobjekt von Stefan Kapp und Jens Wiedersich von Samstagnacht gelten: ein pinkfarbener, hoffentlich weiblicher Stringtanga. Das wäre übrigens auch der einzige Grund, doch noch mal teilzunehmen: Anspruchslosigkeit. Enttäuschung ausgeschlossen.

 

Endstand (98 Teilnehmer)

Pl.
Name
Verein
DWZ
Pkt.
1.
GM Ivanov, Michaeil
SF Bad Mergentheim
2455
7
2.
GM Ovsejewitsch, Sergej
SK Gau-Algesheim
2568
3.
GM Krivoshey, Sergej
SV 1920 Hofheim
2500
4.
IM Bogdanovich, Grigorij
SF Bad Mergentheim
2352
6
5.
IM Womacka, Mathias
USG Chemnitz
2467
6
10.
GM Espig, Lutz
SK König Plauen
2320
32.
Hörr, Christian
SK König Plauen
1894
34.
Engelhardt, Etienne
SK König Plauen
1856
66.
Franz, Tobias
SK König Plauen
1756

 

chö
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letzte Änderung: 05.12.2022