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GUNTER SANDNER IN ÖSTERREICH
 

A visit to Tyrol
... warum Schach spielen in Österreich etwas anderes ist

Im März des letzten Jahres wurde klar, dass ich den Rest des Jahres meistenteils in Füssen am Lech verbringen würde. Das Ostallgäu bot eine traumhafte Kulisse für die Arbeit, die wiederum war genauso wie im Osten Deutschlands. Außer, man verdiente eben die Hälfte mehr als dort. Nachdem ich mich eingelebt hatte, ging der Blick auch auf schachliches Terrain. Wo könnte man in Ortsnähe gepflegtes Klötzleschieben betreiben? Ein dem künftigen Zweitliganiveau der Plauener adäquater Verein sollte schon her. In Schwaben war aber in der Nähe wenig zu holen. Marktoberdorf liegt runde 30km entfernt und hätte keine innervereinliche Konkurrenz für mich zu bieten. Die nächsten größeren Vereine sind Krumbach, Göggingen, Ulm oder München, allesamt über eine Fahrstunde entfernt. Aber die Lösung lag ganz nahe, nämlich ganze 15 Minuten von meiner Wohnung entfernt: Der Schachklub Reutte in Tirol. Also sprach ich dort vor und fand begeisterte Mitglieder. Denn Reutte versuchte den Wiederaufstieg in Österreichs zweite Bundesliga. Da kam so einer wie ich gerade recht. Mir wiederum gefiel zu Anfang, dass ich nicht Brett 1 besetzten musste, mit dem Fidemeister Berhard Tabernig ein ausgezeichneter Spitzenspieler vorhanden war. Etwas später erreichte mich die Nachricht vom erneuten Klassenerhalt in der deutschen Bundesliga. Ich stellte mich leicht egoistisch am vordersten der "Prügelbretter" auf, wollte in der wohl absolut letzten Erstbundesligasaison der Plauener noch mal mit Weltklasseleuten die Klingen kreuzen. Drei Traumgegner hatte ich vor Beginn der Saison genannt: Dr. Robert Hübner, Alexander Beliavsky und Klaus Bischoff. Ob Traum Nr. 3 auch noch in Erfüllung geht?

FM Gunter Sandner – auch in Österreich erfolgreich

Schach in Reutte sollte dazu dienen, die langweiligen Wochenenden zu verkürzen und mir eventuell auch einmal ein Erfolgserlebnis zu verschaffen. Denn in der Bundesliga wäre es an Brett 4 ein Riesenerfolg, nicht alle Partien zu verlieren ... wie man sich doch täuschen kann!

Damit zurück nach Tirol. Es bedeutete für mich einige Umstellung, in der Landesliga Tirol aufzulaufen. Zuerst für Sie einige Unterschiede zu Deutschland:

  1. spielt man in Österreich bis zur Bundesliga nur an 6 Brettern. Das erhöht freilich die Verantwortung der einzelnen Akteure.
  2. beträgt die Bedenkzeit wie in den sächsischen Ligen nur 2/40 + 1/Rest. Das ist nicht so schlimm. Interessant wird es bei der Punktwertung, denn da
  3. zählt man seit dieser Saison ganz anders: Der Sieger des Wettkampfs bekommt wie im Fußball drei Punkte, bei 3:3 jede Mannschaft einen Punkt. Aber darüber hinaus erhalten die Mannschaften noch ihre Brettpunkte dazu. Das ergibt bei 3,5:2,5 3 Punkte für den Sieger und 3,5 Brettpunkte, das Endergebnis lautet damit 6,5:2,5. Und diese Gesamtpunktzahl entscheidet am Ende auch die Meisterschaft.
  4. beginnen die Partien samstags um 14.00 Uhr. Für mich keine Umstellung, man sollte das vielleicht auch in Sachsen anregen. Es gäbe eine Reihe von Vorteilen.
  5. kann man in Österreich gleichzeitig für zwei Teams antreten! Es gibt eine Trennlinie zwischen der zweiten Liga und den Landesligen. Man kann gleichzeitig in einer Mannschaft oberhalb und unterhalb aktiv werden. Das kann im Falle des möglichen Reutter Aufstiegs zum Problem werden, weil die Hälfte des Teams schon bei Zell/Zillertal in der zweiten Liga spielt und Aufstiegsambitionen besitzt.

So begann Anfang Oktober mein Tiroler Abenteuer. Unsere Mannschaft spielt in der Stammaufstellung mit Dr. Tabernig, einem begnadeten Positionsspieler mit ELO 2368. An Brett 2 folge ich, an 3 Magister Johannes Kröll (ELO 2192). Dieser ist das ganze Gegenteil von Tabernig, spielt gerne ausgefallene Systeme und zwingt den Gegner so schnell zum Nachdenken. Beim letzten Kampf dachte sein Opponent schon über seinen zweiten Zug 10 Minuten nach! Wie? Nach 1.Sf3 h6?!?! Aber Hannes ist taktisch sehr versiert und nicht zuletzt deshalb unser bester Blitzer. Ähnlich wie Tabernig sind die nächsten beiden Stammspieler Dr. Wolfgang Egartner und Reinhold Jenul ganz solide Spieler Mit ELO über 2100 haben sie bislang Riesenergebnisse in der laufenden Saison erreicht. Brett 6 wechselt zwischen dem Altmeister Walter Pichler, Alfred Kerber, Werner Schinnerl und Coach Helmut Hofherr. Diese haben eine nationale Wertzahl zwischen 1900 und 2000, spielen nach meinem Dafürhalten aber alle bedeutend besser.

Unser Auftakt verlief qualvoll. Erster Gegner war die SPG Rochade Innsbruck/Rum. Deren Aufstellung erinnerte mich an recht bekannte Vereine im Umland Brett 1 Henrik Teske, Brett 2 Stefan Bromberger, danach noch Christof Herbrechtsmeier und Christian Kratochvil. Aber keiner dieser Legionäre war am Brett, so sollte unsere Bestaufstellung den Sieg garantieren. Dummerweise verloren aber Bernhard, Hannes und Walter, damit konnte auch mein Sieg (gegen Leningrader!) nichts mehr retten. 2,5:6,5 gegen uns. Runde zwei brachte Volksbank Telfs nach Reutte, ich gewann wieder, die Mannschaft holte ein 7:2. In Runde drei fehlte ich wegen Überschneidung mit der Bundesliga, unser Team schlug aber die besser besetzten Absamer mit 7,5:1,5. Runde 4 brachte Grusliges: Der Innsbrucker SK ließ gegen uns zwei Bretter frei und hätte doch fast den Kampf gewonnen. Besonders mein Gegner Hermann Thöny (ELO 2169) war sehr verärgert. Bis zum 35. Zug eine fehlerfreie Leistung durch eine Gewinnstellung gekrönt, verpatzte er in beginnender Zeitnot wirklich alles.

Dafür belohnte uns in Runde 5 das Team von Hypo Kufstein durch kompletten Nichtantritt. Die sechste und bisher letzte Runde brachte das Spitzenspiel mit Raika Zirl. Diese boten den Großmeister Nicolai Shalnev auf, daneben an Brett 2 den vormaligen Nationalkader Werner Dür. Der Kampf zählt zum Denkwürdigsten, das ich in den letzten Jahren erlebt habe. Es begann mit einem glatten Figurengewinn von unserem Gendarmen Alfred Kerber. Diese Partie war auch als erste beendet, leider hatte Alfred das gesamte Holz wieder komplett verbaut und aufgeben müssen. Hannes und Wolfgang gewann souverän, Hannes nicht zuletzt wegen Zeitvorteil (1...h6 – wissen Sie noch?). Reinhold verteidigte sich gut, konnte aber seine Chancen im Turmendspiel wegen ausreichender gegnerischer Aktivität nicht verwerten. Ich spielte großen Stuss. Gut aus der Eröffnung kommend, wickelte ich in ein kompliziertes Endspiel ab, in welchem ich mir aufgrund von Raumvorteil Chancen ausrechnete. Dann unterlief mir ein strategischer "Topfenzug", nachdem Werner Dür forciert die Partie übernehmen konnte. Doch in der Zeitnotphase ging auch bei ihm einiges schief, ich wand mich aus seiner Umklammerung. Doch just als ich wieder auf Gewinn umschalten wollte, stellte ich zweizügig meinen besten Bauern ein und war froh, noch mit letzter Kraft das Remis zu erreichen. Blieb die Partie an Brett 1. Shalnev hatte mit Weiß die Eröffnung arg kraftlos angelegt, Bernhard übernahm bald die Initiative. Doch als er mit Ernten beginnen wollte, fand der GM eine fantastische Riposte, und unser Mann stand mit dem Rücken zur Wand. Noch ein Fehler, und eine Figur ging im Endspiel forciert verloren. Tabernig versuchte alle Tricks, aber am Ende entstand eine Position mit Läufer und Springer Shalnevs gegen Tabernigs einzelnen, aber vom König unterstützten g-Bauern. Der GM hatte die Partie wohl schon abgehakt, denn zu guter Letzt entstand folgende Position: Weiß hat den König auf f2, den Läufer auf a8, den Springer auf b5; Schwarz König h3 und Bauer g2. Nach König h3-h2 muss Weiß den Bg2 nehmen und Schwarz ist patt. Damit anstelle des 4:4 ein 6,5:2,5 für uns und mittlerweile 7,5 Punkte Vorsprung vor Zirl und Pradl, gegen die wir am nächsten Samstag antreten müssen. Bleibt für mich unter anderem die Frage, wo Shalnev, dem äußeren Anschein älter als ich, in den letzten fünf Jahren vom "Patzer" mit ELO 2295 zum Großmeister aufgestiegen ist. Denn meine große Datenbank spuckt nur bis dorthin Partien von ihm aus. Und wenn Sie mich fragen, ich habe in den letzten Jahren ausschließlich VIEL stärker spielende GM's am Brett sitzen sehen.

Sollten Sie nun Interesse an drittklassigem österreichischem Schach bekommen haben, am einfachsten ist der Weg dorthin über die Website des DSB (www.schachbund.de). Dort klicken Sie nacheinander auf Links, dann internationale Seiten, Österreich und Tiroler Schachhomepage. Die Site ist topaktuell, sie können schon am Samstag Abend die Ergebnisse vom Nachmittag abrufen.

Als Resümee möchte ich nur vermelden: Tirol steht ganz oben in meiner Wertschätzung, und daran hat Schach einen ganz hohen Anteil.

Tiroler Landesverband

 

Gunter Sandner
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letzte Änderung: 05.12.2022