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REZENSION
16. Februar 2003


Ein Kynstler am Nullpunkt des Sinns

Der Plauener Jörg Seidel sagt "Guten Tach!" und schreibt über Helge Schneider und die Philosophie – Auftritt des Kynikers in Chemnitz

Plauen/Chemnitz. Diogenes – das war der Typ in der Tonne – rannte eines hellerlichten Tages über den gut besuchten Marktplatz von Athen, schwenkte eine hell erleuchtete Laterne vor seinem Kopf und verkündete: "Ich suche einen Menschen!" Auf sowas muss einer erstmal kommen. Helge Schneider hat zwar nicht solche Dinger drauf, aber er wandelt sicher in der Tradition kynischen Denkens. Ein künstlerischer Querschläger, der Tabus frühstückt und sich für seine Launen bezahlen lässt.

Schneider, der nächste Woche Dienstag in der ausverkauften Chemnitzer Stadthalle zu Gast sein wird, spielt recht passabel Klavier und ist mitunter witzig. Doch streng genommen sind die gesammelten Werke des Herrn Schneider extrem nutzlos und überflüssig, man denke an "Das scharlachrote Kampfhuhn" oder "Fitzefitze fatze". Jörg Seidel aus Plauen meint: "Sie sind so enorm überflüssig, dass sie in diesem Extrem des Überflusses wieder absolut notwendig sind." Weil sie "de facto einen Nullpunkt des Sinns markieren".

Seidel ist einer, der ziemlich viel rumkommt, auch im Kopf. Auf dem Buchrücken von "Ondologie Fanomenologie Kynethik" bezeichnet er sich als "begeisterter und geistiger Vagabund, der die philosophische Reisefreiheit genießt." War dieses Werk des in Oxford lebenden Philosphie-Experten noch in geheimnisvolle fachliche Tiefen getaucht, hat der 37-Jährige nun seine wesentlichen Ein-, An- und Draufsichten zur Gesamterscheinung Helge Schneider auf ein allgemein verständliches Buch zusammengedampft.

Das ist schön, denn längst überfällig, dass sich überhaupt mal jemand ernsthaft mit den absurden Eruptionen aus dem Ruhrgebiet beschäftigt. Aber das ist auch schwierig, denn möglicherweise nimmt sich nicht mal Helge selbst ernst. Von daher gerät auch jeder zwangsläufig ins Trudeln, der Schneider bewerten, einordnen, durchschauen, rezensieren, kritisieren will. Seidel nun geht diesem Dilemma geschickt aus dem Weg. Er versucht es gar nicht erst.

Tatsächlich wirft er Schlaglichter auf philosophische Querverbindungen, zu Nietzsche und Deleuze etwa, lässt Hegel erwidern und suhlt sich genüsslich mit den "Hunden von Athen", den fabelhaften Kynikern. Man kann es so sehen und auch so. Nichts muss, alles kann. Schneider kapieren zu wollen hieße, mit Sisyphos Steine zu wälzen. Deshalb ist er immer wieder so erfrischend anders, unerwartet, authentisch.

Natürlich will Seidel auch provozieren. Da sucht einer Streit und zwinkert mit den Augen. Immerhin geht es um ein Werk von "globalem Schwierigkeitsgrad", wie Helge eines der seinigen bezeichnet, aber nur sein gesamtes meinen kann, sich selbst eingeschlossen. Von daher ist der Seidelsche Ansatz sehr breitenwirksam. Fans finden dringend benötigte Argumente, Zweifler neue Perspektiven, und für Helge-Feinde bleibt die Erkenntnis, dass sie es mit einem ominös-nebulösen Gebilde zu tun haben, dem nur schwer beizukommen ist.

Jörg Seidel erfindet ein Wort für Helge, er nennt ihn einen "Kynstler" und stellt ihm Kafka zur Seite. Nachdenken über Helge Schneider, über das "Genie der Mittelmäßigkeit, des Dilettantismus, der Genielosigkeit, das Original des Unoriginellen", so lautet die warme Empfehlung. Schneider, der plappert einfach drauflos, der ist wie ein geil wucherndes Rhizom, bei dem es nichts zu verstehen gibt, aber viel, dessen man sich bedienen kann, mit dem sich experimentieren lässt, wie Deleuze und Guattari bereits vorschlugen. Und das klingt ganz gut, das bringt es irgendwie auf den Punkt. Soweit das eben geht.

Markus Schneider

Jörg Seidel
›Guten Tach!‹
Helge Schneider und die Philosophie
(Focus Verlag, Giessen 2002)
ISBN 3-88349-494-1
160 Seiten, 15,00 EUR

Das Buch ist bei uns zum Vorzugspreis von EUR 10,00 inkl. Verpackung und Versand erhältlich. Wenn Sie Interesse haben, wenden Sie sich bitte an Webmaster Christian Hörr oder an Jörg Seidel selbst.

 

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