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LITERATUR
5. November 2003

Tariq Ali: Im Schatten des Granatapfelbaums

Und bekämpft in Allahs Pfad, wer euch bekämpft; doch übertretet nicht; siehe, Allah liebt nicht die Übertreter.
Und erschlagt sie, wo immer ihr auf sie stoßt, und vertreibt sie, von wannen sie euch vertrieben ...

Koran 2. Sure, 186f.

 

Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Matthäus 10.34


"’Wenn das so weitergeht’, nuschelte Ama durch ihre Zahnlücken, ’wird von uns nichts bleiben als eine flüchtige Erinnerung.’

Yasid, aus seiner Konzentration gerissen, blickte mit finsterem Gesicht vom Schachtuch auf. Er saß am anderen Ende des Innenhofs, wo er sich eifrig mühte, die Listen und Kniffe des Schachspiels zu meistern. Seine Schwestern Hind und Kulthum waren beide perfekte Strateginnen. Sie weilten mit den übrigen Familienangehörigen in Gharnata. Yasid wollte sie bei ihrer Rückkehr mit einem unüblichen Eröffnungszug überraschen.

Er hatte versucht, Ama für das Spiel zu begeistern, die alte Frau aber hatte über dieses Ansinnen nur gackernd gelacht und abgelehnt. Yasid konnte ihre Weigerung nicht verstehen. War Schach den Perlen, die sie unablässig befingerte, nicht bei weitem überlegen? Warum nur wollte ihr das nicht in den Kopf?

Zögernd räumte er die Schachfiguren fort. Wie außergewöhnlich sie sind, dachte er, indes er sie sorgsam in ihre Schatulle zurücklegte. Sein Vater hatte sie eigens für ihn in Auftrag gegeben. Juan der Tischler war angewiesen worden, sie rechtzeitig zu Yasids zehntem Geburtstag zu schnitzen. Er hatte ihn im vergangenen Monat des Jahres 905 A. H. begangen, welches die Christen nach ihrer Zeitrechnung als das Jahr 1500 bezeichneten".

Mit diesen Zeilen beginnt Tariq Alis historischer Roman, der vom Untergang einer der reichsten Kulturen Europas erzählt. Acht Jahre zuvor – das Jahr, in dem nach europäischer Zeitrechnung die Neuzeit (Kolumbus) beginnt – erreicht die spanische Reconquista mit dem Fall Granadas ihren Höhepunkt. Für die Mauren auf der Iberischen Halbinsel, die viele Jahrhunderte friedlich in einer multikulturellen Gesellschaft aus Mohammedanern, Christen und Juden lebten, geht eine Ära zu Ende. Erzbischof Jimenez, ein religiöser Fanatiker franziskanischer Observanz und eng mit der Inquisition verbunden, treibt sein Ziel der totalen Christianisierung erbarmungslos voran. Die letzte seiner Schandtaten war die Verbrennung des gesamten arabischen Schriftgutes, ein unvorstellbarer Verlust. Die "Flammenwand" wird zum Fanal.

Auch das Leben im Dorf al-Hudayl ist von den historischen Ereignissen betroffen. Hier lebt die alteingesessene Familie des Umar bin Abdullah, dessen jüngster Sohn, Yasid, beim Schachspiel vorgestellt wurde. Die Szene erlangt Symbolcharakter, sie nimmt den Verlauf komplett voraus:

"Der Knabe war der Liebling der ganzen Familie. Und so beschloss Juan, Schachfiguren zu schaffen, die alles überdauern würden. Am Ende hatte er sich selbst übertroffen.

Die Mauren bekamen die Farbe Weiß. Ihre Königin war eine edle Schönheit mit einer Mantilla, ihr Gemahl ein rotbärtiger Monarch mit blauen Augen (sic!), dessen Gestalt ein fließendes, mit seltenen Edelsteinen geschmücktes arabisches Gewand umhüllte. Die Türme waren Nachbildungen der Befestigungsanlagen, welche den Eingang zu der palastartigen Residenz der Banu Hudayl beherrschten. Die Springer verkörperten Yasids Urgroßvater… Die weißen Läufer waren nach dem beturbanten Imam der Dorfmoschee modelliert. Die Bauern wiesen eine frappante Ähnlichkeit mit Yasid auf.

Die Christen waren nicht bloß Schwarz: sie glichen Ungeheuern. Die Augen der schwarzen Königin glitzerten böse, ein krasser Gegensatz zu der winzigen Madonna, die sie um den Hals trug. Ihre Lippen waren blutrot gefärbt. An einem Finger trug sie einen Ring mit einem aufgemalten Totenschädel. Der König hatte eine bewegliche Krone auf dem Kopf, die sich leicht abheben ließ, und als sei es mit dieser Symbolik nicht genug, hatte der kunstsinnige Tischler den Monarchen mit einem winzigen Paar Hörner versehen. Um diese einzigartigen Verkörperungen von Ferdinand und Isabella gruppierten sich ebenso groteske Figuren. Die Springer erhoben blutbefleckte Hände. Die beiden Läufer waren in Satansgestalt modelliert, sie umklammerten Dolche und hatten peitschengleiche, abstehende Schwänze. Juan hatte Jimenez de Cisneros nie zu Gesicht bekommen, ansonsten dürfte kaum ein Zweifel bestehen, dass des Erzbischofs glühende Augen und Hakennase sich vorzüglich für eine Karikatur (sic!) geeignet hätten. Die Bauern waren samt und sonders als Mönche gestaltet mit Kapuzen, hungrigen Blicken und Bierbäuchen: beutelüsterne Geschöpfe der Inquisition…

Am Fuße jeder Figur war Yasids Name eingeritzt, und Yasid hing an seinen Schachfiguren, als seien es lebendige Wesen. Seine Lieblingsfigur aber war Isabella, die schwarze Königin. Sie erschreckte und faszinierte ihn zugleich. Mit der Zeit wurde sie ihm eine Art Beichtvater (sic!), jemand, dem er alle seine Sorgen anvertraute, jedoch nur, wenn er sicher sein konnte, dass sie allein waren" (16f.).

Tariq Ali

Tariq Ali, der englische Verfasser pakistanischer Abstammung, versucht mit "Im Schatten des Granatapfelbaums" ein Kaleidoskop der arabisch-iberischen Gesellschaft kurz vor ihrem Untergang zu entwerfen. Umars Familie umfasst daher idealtypisch fast alle Möglichkeiten des Glaubensbekenntnisses. Da gibt es Miguel, der nicht nur konvertiert, sondern es bis zum Bischof brachte – er ist, nebenbei, der zweite Schachspieler -, da gibt es den heißblütigen Rebell Suhayr, es gibt den Skeptiker, den Aufklärer, die Streng- und Altgläubige, die Laszive, den gutmütigen, ständig auf Ausgleich bedachten Versöhnler, es gibt den Denker und Theoretiker, den Angsthasen etc. Sie alle suchen einen individuellen Ausweg aus dem Glaubensdilemma: irdisches oder himmlisches Leben; mit den Christen, gegen sie oder auswandern. Suhayrs Heißblütigkeit, die mitunter an Don Quichotte erinnert, gibt den christlichen Eiferern schließlich den erhofften Vorwand und aller Pluralismus wird im Massenmorden nivelliert. Lediglich der Ängstlichste und der Mutigste überleben vorerst das unglaubliche Massaker. Die eingangs erwähnte und immer wieder erneuerte Magie der Schachfiguren wird sich bewahrheiten. Blutig wird die islamische Hochkultur iberischer Prägung, der die Europäer auch das Schach zu danken haben [1], untergehen.

Aber diese kulturelle Blüte ist auch eine des Verfalls. Nirgendwo wird dies deutlicher als in den üppigen Gelagen: "Diese Familie, der jahrhundertelang nichts wichtiger gewesen war als die Vergnügungen der Jagd, die Beschaffenheit der Marinade, welche die Köche für den Lammbraten verwendeten, der selbigen Tages zubereitet wurde, oder die neuen Seidenstoffe aus China, die in Gharnata eintrafen, diese Familie setzte sich heute abend mit der Geschichte auseinander" (150).

Wenn sich Ali zur Kritik der eigenen Kultur durchringen kann, dann hinsichtlich der Dekadenz und der Uneinigkeit. Ansonsten jedoch enttäuscht das Buch, das von euphorischen Kritikern gleich zu einem wesentlichen Beitrag der Völkerverständigung ernannt wurde und ein einstiges Utopia der multikulturellen Gesellschaft beschreibt, durch übertriebene Schwarz-Weiß-Malerei – auch dies wurde im Schachspiel vorweggenommen. Aber ganz gleich, wie man das Buch interpretiert, es bezieht aus dieser Ambivalenz seine politische Aktualität und Brisanz. Anprangernswerte Vorurteile gibt es – beschriebenes Schachspiel liefert den besten Beweis - auf beiden Seiten, aber, so scheint der Autor sagen zu wollen, sind sie auf islamischer Seite eher gerechtfertigt. Während das Familienleben als reich, glücklich, intensiv, farbenfroh und sehr sinnlich beschrieben wird – mitunter erreicht die Schilderung die Intensität von 1001 Nacht – stehen auf der christlichen Seite bösartige, verhärtete oder schwache Menschen gegenüber, deren Kultur und Religion der arabischen fast nichts entgegenzusetzen habe, und die, rein literarisch gesehen, mehr als hölzern erscheinen. Umgekehrt erliegt Tariq Ali einer unglaubwürdigen Idealisierung der maurischen Gemeinde, die nahezu die perfekte Demokratie (!) lebt. Man kann dies als Parabel für die prinzipielle Toleranz des Islam lesen [2], aber es ist wohl weniger aufwendig darin eine Verklärung zu sehen. Freilich muss man dann Aussagen wie diese ernst nehmen (umso mehr als sie von radikalislamischen Gruppen wie der Abu Hamsa Al Masris in London - Finsbury Park Moschee – oder des kürzlich verurteilten Abdullah al-Faisal, mehr oder weniger direkt, wiederholt wurden: um die Christen zu schlagen, müssen wir Moscheen in London bauen): "Die einzige Möglichkeit, dieses Land für unseren Propheten zu retten, wäre die Errichtung einer Moschee in Notre Dame gewesen" (156).

 

Wir sollten bei diesen aufgeheizten Diskussionen nicht vergessen: zum einen ist der Begriff der Toleranz ein aufklärerisches europäisches Konzept, zum anderen ist der westliche Liberalismus diskursunfähig mit geschlossenen Religionen: "Religion, die es ernst meint, ist nicht tolerant. Deswegen kann sie von der Religion der Toleranz, also dem Liberalismus, nicht toleriert werden. … Wenn der Dialog beginnt, hat der Liberalismus schon gewonnen. Und dafür haben die Frommen ein untrügliches Gespür. Es ist deshalb absurd, sich irgendeinen politischen Fortschritt vom ‚Dialog der Religionen’ zu versprechen. Wenn sich die Fundamentalisten auf einen Dialog einlassen würden, gäbe es gar keinen Grund mehr für einen Dialog. … Die Liberalen können den Konflikt fundamentaler Glaubensüberzeugungen nur als Meinungsstreit modellieren, denn es gibt für sie prinzipiell keinen Konflikt, den man nicht in rationaler Deliberation auflösen könnte. Was aber eine Religion von einer bloßen Meinung unterscheidet, ist der Anspruch auf privilegierten Zugang zur Wahrheit. Und deshalb gibt es keine liberale Antwort auf die heute so dringliche Frage: Wie soll man mit Leuten diskutieren, die von der Überlegenheit ihrer Kultur überzeugt sind?" [3]. Und wer will objektiv entscheiden, welcher Seite Recht zu geben sei?

Tatsächlich, das soll nicht negiert werden, ist im iberischen Islamismus [4] eine einzigartige Kultur blutig untergegangen, deren Verlust ebenso schmerzhaft und unverzeihlich ist, wie die Vernichtung der indianischen Kulturen – in beiden stellte der gegenreformatorische Katholizismus nicht nur seine Existenzberechtigung in Frage, sondern beraubte sich selbst unwiederbringlicher Quellen von Weisheit, Wissen, Können und Spiritualität. Ali zieht diese Linie direkt, denn es ist kein anderer als Cortez höchstpersönlich, der dem jungen Yasid das Schwert ins Herz stoßen wird.

Weshalb diesem Buch der Beifall verweigert wird, liegt nicht an den darin vertretenen Ansichten, über die man [5] diskutieren kann, sondern an den literarischen Unzulänglichkeiten (die freilich thematisch bedingt sind). Vieles darin scheint dem Augenblick geschuldet zu sein; die Geschichte erwächst nicht natürlich aus einer Wurzel, sondern treibt immer wieder nur neue Blüten und Verzweigungen, die meist jedoch wieder verdorren und ins Nichts führen. Ihr erzählerischer Sinn bleibt daher rätselhaft, allerdings garantieren sie eine gewisse facettenreiche Buntheit; negativ ausgedrückt, könnte man sie als Ablenkung und Abwege beschreiben. Zudem werden Stimmungen – ein essentieller Bestandteil in märchenhaften Erzählungen – fast nur erklärt statt herbeigeführt. Gerade die Benennung einer Stimmung macht deren Erlebnis unmöglich. Nur wirklich herausragenden Autoren gelingt es Stimmungen in der Sprache und im Geschehen anklingen zu lassen. Thematisch leidet das Buch unter zahlreichen Anachronismen, zumindest solange man es strikt als historischen Roman liest (es wurde bereits angedeutet, dass die Historie lediglich als Vorwand dienen könnte, politische Botschaften zu kaschieren); man kann sich Muselmanen des 15. und 16. Jahrhunderts – selbst in der relativ toleranten maurischen Enklave - kaum als demokratische Diskussionsgemeinschaft vorstellen, in denen freie Meinungsäußerung bis hin zur Blasphemie (solange sie von Gleichgesinnten ausgesprochen werden) geduldet werden und in denen moderne Begriffe wie "Kultur", "Geschichte" oder "Toleranz" ausgiebig thematisiert sind.

 

Die historische Ungenauigkeit lässt sich wohl auch bis ins Schach zurückverfolgen. Ein maurischer Schachspieler im Süden Spaniens im Jahre 1500 dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Dame in der Hand gehalten haben, sondern einen Wesir (arabisch: fers), der weit weniger schlagkräftig als die heutige Dame war und mit seinem einfeldrigen diagonalen Zug, sogar die schwächste Figur des arabischen Schachs darstellte. Die Beschleunigung des arabischen Schachspiels Shantranj, inklusive der Wandlung des Wesirs zur Dame, erfolgte in Süd- und Mitteleuropa als langanhaltender Prozess des Experimentierens, bis sie sich schließlich durch das Buch des Spaniers Lucena aus dem Jahre 1497 durchsetzte [6]. Es ist also zumindest unwahrscheinlich, dass Yasid tatsächlich Isabella als schwarze Königin auf seinem Tuch hat spielen lassen (mal ganz davon abgesehen, dass dies gegen das strenge Bilderverbot im Islam verstoßen hätte [7], umso mehr, da es sich offenbar um realistische, ja sogar individuelle Abbildungen mit Namensbenennung oder Satansdarstellungen handelte, die zudem – das ist das schlimmste Vergehen - , in Form der "Beichte", angebetet werden [8]). Zudem war es im arabischen Schach üblich, das Spiel nicht nur durch das Matt enden zu lassen, wovon Ali mehrfach schreibt, sondern viel eher durch einen Beraubungssieg, welcher der Langsamkeit des damaligen Spiels viel eher entsprach. Schließlich wirkt es unwahrscheinlich, den jungen Schachfreund beim Eröffnungsstudium zu sehen.

Auf all diese Dinge mag Ali keinen Wert gelegt haben, dem es um die Symbolbedeutung des Schachs ging. Tatsächlich taucht es im Roman immer wieder auf, um in erster Linie die Ereignisse vorwegzunehmen: den endgültigen Sieg der Reconquista:

"Als Subayda durch den Hof ging, sah sie ihre Söhne beim Schachspiel. Sie schaute ihnen eine Weile zu und bemerkte belustigt den finsteren Blick, der Suhayrs Züge entstellte: ein sicheres Zeichen, dass Yasid gewann. Mit hörbarer Erregung in der Stimme verkündete dieser seinen Triumph: ‚Ich gewinne immer, wenn ich die schwarze Königin auf meiner Seite habe!’" (61).

Yasids künstlerische Schachfiguren – die ohnehin zu sehr an moderne Kreationen erinnern – verstoßen aber nicht nur gegen das islamische Bilderverbot, sie könnten ihm auch ob ihres ketzerischen und aufrührerischen Aussehens, von christlicher und inquisitorischer Seite den Untergang bringen. Als er unbedacht das Spiel gegen seinen konvertierten Onkel – seines Zeichens Bischof – auspackt, entspinnt sich folgendes Gespräch:

"’Sei gesegnet mein Kind. Ich dachte, wir könnten vor dem Mittagsmahl eine Partie Schach spielen.’

Yasid wurde sogleich heiter. … Der Knabe eilte ins Haus und kehrte mit seinem Schachspiel zurück. Er legte das Schachtuch auf den Tisch und öffnete vorsichtig die Schatulle. Dann kehrte er dem Bischof den Rücken zu, nahm eine Königin in jede Hand und streckte seinem Großoheim die geschlossenen Fäuste hin. Miguel wählte die Faust, welche die schwarze Königin enthielt. Yasid fluchte insgeheim. Jetzt bemerkte Miguel den besonderen Charakter dieser Schachfiguren. Er nahm sie näher in Augenschein. Seine Stimme war heiser vor Furcht, als er sprach.

‚Woher hast du das Spiel?’ …

‚Ich dachte, du wolltest Schach spielen.’

Miguel sah das bekümmerte Gesicht des Knaben, der ihm mit leuchtenden Augen gegenübersaß, und musste unwillkürlich an seine eigene Kindheit denken. Hier in diesem Hof hatte er Schach gespielt, auf eben demselben Tuch. Dreimal war er gegen einen Meister aus Qurtuba angetreten, und die ganze Familie hatte um den Tisch gestanden und aufgeregt zugesehen, wie der Meister jedes Mal geschlagen wurde. Applaus und Lachen folgten…" (120f.).

Eines zumindest gelingt Tariq Ali zu zeigen, wie innig das Schachspiel in jene überreiche Hochkultur der Mauren verwoben war.

Tariq Ali: Im Schatten des Granatapfelbaums (Original: Shadows of the Pomegranate Tree). Heyne Verlag München 2000 (1993). 285 Seiten

 

 

P.S. Wer die wirkliche Mannigfaltigkeit der hochbrisanten und konfliktreichen Geschichte der iberischen Halbinsel auf literarisch wesentlich höherem Niveau erfahren will, dem sei Lion Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo" empfohlen [9]. Im Unterschied zu Ali, beschreibt Feuchtwanger zwar aus primär jüdischer Sicht und bearbeitet einen Stoff des späten 12. Jahrhunderts, achtet aber akribisch auf historische Akkuratesse und begnügt sich nicht mit einfachen Erklärungen, sondern legte Wert darauf, das komplexe Gebilde einer multikulturellen Gesellschaft zu entwerfen. Nebenbei: auch König Alfonso VIII. spielt während seiner glücklichen Tage mit seinem jüdischen aber im arabischen Teil aufgewachsenen Kebsweib Raquel Schach (172) – "Sie spielten Schach. Sie spielte gut und beteiligt und dachte lange nach, bevor sie zog. Das machte ihn ungeduldig, er forderte sie auf, endlich weiterzuspielen. Sie sah verwundert hoch, eine solche Aufforderung war in islamischen Ländern nicht üblich. Er selber, überschnell, wollte einmal einen Zug zurücknehmen. Sie war befremdet; hatte man eine Figur angerührt, dann musste man mit ihr ziehen. Freundlich machte sie ihn auf die Regel aufmerksam. Er sagte: ‚Bei uns ist es nicht so’, und nahm den Zug zurück. Für den Rest des Spiels blieb sie schweigsam und legte es darauf an, sich schlagen zu lassen." - und er wird sich ihrer, nachdem sie grausam ermordet wurde, schachspielend erinnern (414).

 

 

--- Jörg Seidel, 05.11.2003 ---


[1] In den Gelehrtenstreit, ob das Schach via Sizilien und Italien oder über Südspanien nach Europa gelangte, lassen wir uns hier nicht ein.
[2] Vgl. etwa: Umschlagtext: Rezension der Frankfurter Zeitung und:
http://home.t-online.de/home/haselberger/@alim_sc.htm
[3] Norbert Bolz: Das konsumistische Manifest. München 2002. S. 28ff.
[4] Islamismus in seiner ursprünglichen Wortbedeutung: "Weltreligion, begründet von Mohammed (im Islam der letzte Prophet nach Jesus), die den absoluten Monotheismus lehrt, in dem Allah der einzige Schöpfer der Welt ist" (Deutsches Wörterbuch hrsg. von Karl-Dieter Bünting. Chur 1996)
[5] man ist wir, die Aufklärungsgeschädigten
[6] Für die Exaktheit der Aussage habe ich Gerhard Josten zu danken: http://www.mynetcologne.de/~nc-jostenge Bei Lucenas Buch handelt es sich um "Repeticòn de amores e arte de axedrez con cl. Iuegos de partido"
[7] "Er ist Allah, der Schöpfer, der Erschaffer, der Bildner" (59. Sure, 24), heißt, dass lediglich Allah das Recht des Abbildens = Schöpfens zusteht.
[8] Vgl. etwa: http://www.teblig.de/fiqh/deutsch/handbuch/s/spielzeug.htm
[9] Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo. Berlin 1962


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