RUBRIKEN
Home
Polemik/Aktuelles
Literatur
Philosophie/Psycho
Über den Autor
Summaries &
Translations
SK König Plauen
Mehr Philosophie:
seidel.jaiden.de
LITERATUR
13. April 2006

Poul Anderson: A Circus of Hells

"For relaxation he could always engage Hal in a large number of semi-mathematical games, including checkers, chess and pantominoes. If Hal went all out, he could win any of them; but that would be bad for morale. So he had been programmed to win only fifty per cent of the time, and his human partners pretended not to know this.” [1]

Nein, dieses Zitat stammt offensichtlich nicht aus Andersons Science Fiction, sondern aus Clarkes "2001. A Space Odyssey" von 1968. Und es ist die einzige Schachreferenz in diesem wohl berühmtesten Klassiker des Genres. Das deutet schon darauf hin, wie sehr Stanley Kubricks kongenialer Film die Textgrundlage verdeckt, denn immer wieder mal geistert Hal, der entfesselte Bordcomputer und sein legendäres Spiel gegen David, durch die Schachmedien als Idealbeispiel der literarischen Verknüpfung. Nicht alle, die über Schachliteratur schreiben und sprechen, haben die Bücher offensichtlich gelesen.

Dabei ist der Fall Hal typisch, ob nun schachspielend oder nicht, drückt sich in ihm ein altbewährtes Motiv des Genres aus: die sich verselbständigende Technik. Auch Poul Anderson spielt in seinem Roman mit dieser Angst. Unter aficionados ist sein Held Dominic Flandry nicht weniger bekannt und hat Millionen Fans gefunden. "A Circus of Hells" stellt den zweiten Band mit diesem intergalaktischen Spion und Haudegen dar. Seine Liebe zum Schach hat Anderson übrigens auch in anderen Romanen und Erzählungen dokumentiert [2].

Flandry jedenfalls, gelangweilter Terraner, kann einem lukrativen, wenn auch dubiosen Angebot nicht widerstehen und lässt sich vom galaktischen Vizekönig zur krummen Seitentour überreden, die ihn zum vergessenen Planeten Wayland führt. Noch vor 500 Jahren lebten und arbeiteten dort Humans, seither jedoch liegt der rohstoffreiche, aber unwirtliche Stern brach. Um ihn wieder zu entdecken, bittet sich Flandry nur eine weibliche Begleiterin aus und bekommt die unwiderstehliche Djana. Was er nicht weiß, ist, dass Djana für die feindliche Konföderation arbeitet. Aber auch so enden die durchliebten Flitterwochen in der Katastrophe, denn Wayland ist weit lebensfeindlicher als befürchtet. Schon bei der Landung werden sie angegriffen, das Schiff beschädigt. Nun heißt es aussteigen und kämpfen. Erst gegen käferähnliche Wesen, dann gegen equinide Hybridwesen und schließlich gegen speerwerfende Krieger. Aber jede dieser Figuren verhält sich eigenartig, kämpft immer nur auf eine spezifische Weise und so tasten sich die beiden allmählich zur Frage vor: "Does each of them stay inside its own square?" (63) Von hier aus ist es nicht mehr weit, die wahre Natur des Kampfes oder besser des Spieles zu erraten, zumal es sich nicht um Lebewesen, sondern Maschinen handelt, die ja von irgendjemandem dirigiert, geführt werden müssen. Die beiden befinden sich auf einem riesigen Schachbrett, auf dem der vernachlässigte Zentralcomputer seine fünfhundertjährige Langeweile vertreibt, indem er das tut, was er am besten kann: rechnen und spielen.

- "But I think I see what the arrangement is. The way the bishop behaved. Didn’t you notice?
- B-b-bishop?
- Consider. Like the knight, I’m sure, the bishop attacks when the square he’s on is invaded. I daresay the result of a move on this board depends on the outcome of the battle that follows it. Now a bishop can only proceed offensively along a diagonal. And the pieces are only programmed to fight one other piece at a time. … we’re actually on a giant chessboard” (67)

An dieser frühen Stelle können wir die beiden bereits wieder verlassen, die nun ohne Schwierigkeit den Weg ins Innere der Rechenmaschine finden und sie sich wieder dienstbar machen. Man muss schließlich nur den entscheidenden Feldern ausweichen, man muss nur ein wenig Schach spielen können. (Ein Grund mehr, es unseren Kindern beizubringen: Man kann sich Situationen vorstellen, in denen es hypothetisch, wie eingefrorene Stammzellen aus der Nabelschnur, in der Zukunft Leben retten könnte. Hauptsache, die Computer – das Rätsel Schach einmal gelöst – besinnen sich nicht auf Go.) Flandry und seine Begleiterin haben noch mehrere Abenteuer zu bestehen, müssen fliehen und kämpfen mit zahllosen extraterrestrischen Wesen, die Namen wie schottische Seen oder walisische Dörfer tragen, trauen einander und verraten sich, aber das alles hat mit dem Schach nichts mehr zu tun; nur noch einmal konnte Anderson seiner geheimen Leidenschaft nicht widerstehen, als er Ydwyr, den gekidnappten Mersianer fragen lässt: "My duty is to kill you if I can. With that made clear, would you like a game of chess?" (178) Die Vorstellung war denn zu verlockend und außerdem muss Schach nicht Kampf und Krampf sein, nein, es kann auch der intergalaktischen Völkerverständigung dienen.

Diese Art Roman ist heute kaum noch möglich, zumindest dürfte ein zeitgenössischer Autor nicht mehr auf Erfolg rechnen. Die klassischen populärliterarischen Utopien entstammen einer mobilitätsgläubigeren Zeit, in der Menschsein die vergleichsweise problemfreie Versprechung des Pilot- und Fahrerseindürfens enthielt. Ich bin, weil ich mich bewege; ich bin umso mehr, je weiter und schneller ich mich bewege. Auch wenn sich das von der heutigen Situation kaum unterscheidet, so befinden wir uns nun auf einer ganz anderen Reflexionsstufe. Die noch halbentschuldbare Unwissenheit der 60er und 70er Jahre führte zum panischen Katastrophenbewusstsein der 80er und schließlich zur zynischen Ignoranz der Jetztzeit. Was die vorige Generation vielleicht noch nicht wissen konnte, das wollen wir nun nicht mehr wissen und glauben. Deswegen wurde der technisch-kinetische Science Fiction durch den mental-kinetischen ersetzt, durch die Welt des Traums und Zaubers. Millionenauflagen für Rowling, Pullman und Paolini, ja selbst Renaissancen für Wanderepen wie "Der Herr der Ringe" stehen dafür als Beispiele.

Das mindert den literarischen Wert der utopischen Literatur keineswegs und nicht etwa nur, weil man darin chronische Fälle der westlichen Illusionsgeschichte wahrnehmen kann. Tatsächlich drehen sich auch die fernsten stellaren Konstitutionen immer um die Erde. Sie ist der verborgene Subtext, pseudowissenschaftliche Utopien sind oft nichts anderes als moralphilosophische Entwürfe auf Mersianisch oder Klinkonisch oder was auch immer. Und sind Zukunftsromane nicht eigentlich heimliche Meditationen über das Andere und das Fremde, spielen sie nicht mit anthropogenen Relativitätstheorien, belehren sie uns nicht über allgemeinmenschliche Konstanten? Das ist der Grund, weshalb man sich noch immer mit den nur an der Oberfläche veralteten Phantasien unserer Vorfahren beschäftigen muss, sofern sie, wie eben Poul Anderson, zur wirklich denkenden Gattung zählen.

Poul Anderson: A Circus of Hells. London 1978 (1970)
http://www.fantasticfiction.co.uk/a/poul-anderson/

 

--- Jörg Seidel, 07.03.2006 ---


[1] Arthur C. Clarke: 2001 A Space Odyssey. 1968
[2] Anderson, Poul: Schach dem Unbekannten. [= Terra Utopische Romane Science Fiction Sonderband 41]. Originaltitel: We claim these Stars. Moewig Verlag (laut: http://www.ballo.de/1945-1998,_a.htm),
sowie: Anderson, Poul: The Immortal Game., wo Anderson eine phantastische Schlacht beschreibt, die sich nach und nach - in ihren Bildern fast als Prophezeiung von "Battle Chess" - als Schachpartie auf einem Computer entpuppt. Tatsächlich handelt es sich um Anderssen-Kieseritsky, "die Unsterbliche" also, anhand deren zwei Figuren, "the scientist" und "the visitor", Poul Andersons immer aufs Neue gestellte Hauptfrage aufwerfen: "I wonder - I wonder if your computers may not have consciousness. If they might not have - minds." In: Sinister Gambits. Chess Stories of Murder and Mystery". London 1991. Seiten 205 - 215.
Auch in einigen anderen Romanen taucht das Schach als gespieltes Spiel auf, z.B. in "After Doomsday".


Dieser Text ist geistiges Eigentum von Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung in keiner Form vervielfältigt oder weiter verwendet werden. Der Autor behält sich alle Rechte vor. Bitte beachten Sie dazu auch unseren Haftungsausschluss.

 

Impressum
Copyright © 2002 by Christian Hörr
www.koenig-plauen.de