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LITERATUR
13. Oktober 2004

Clark Darlton: Todesschach

Remistod, Computertod, Analysetod? Alles Unsinn! Wenn die waghalsigen Voraussagen der Science-Fiction-Eminenz stimmen, dann wird das Schachspiel im 23. Jahrhundert populärer sein denn je, dann wird man es überall mit Begeisterung spielen: auf der Erde, auf dem Io und selbst die tägliche weltumspannende Fernsehshow wird nichts Geringeres sein als: Todesschach!

Dabei handelt es sich um eine Lebendschachvariante in unwegsamem Gelände, wo die Spielfiguren sich auf Gedeih und Verderb schlagen und wo die beiden Spielleiter ewige Ehre oder Scham ernten. Denn dieses blutrünstige Spiel wird weltweit und live in die Wohnstuben übertragen; sein tieferer Sinn ist es, die "animalischen", die blutrünstigen Triebe der Menschheit zu bändigen und zu befriedigen, in einer Welt, in der sonst alles in Ordnung ist. Fast in Ordnung! Es gibt nämlich immer noch ein paar Nörgler, die unter wirklicher Freiheit auch die Befreiung vom Diktat der Massenmedien verstehen und die dafür auch wieder den Krieg riskieren. Einer dieser Freiheitskämpfer der Untergrundbewegung ist Thorn, ein Juniorenmeister im Schach. Mira, seine Freundin, ist nicht minder begabt im Spiel, gerät aber in die Fänge der Sicherheitspolizei und wird lebenslang auf den Saturnmond Io verbannt. Von dort gibt es nur einen einzigen Rückweg: man muss sich als Spielfigur im Todesschach bereitstellen, Kopf und Kragen riskieren. Wer aber soll dafür besser geeignet sein als eine begnadete Schachmeisterin? Das weiß auch Thorn, insgeheim bereitet er Miras Rückkehr vor. Dabei tut er sich mit Grams zusammen, dem unbestrittenen Meister des grausamen Spiels, der schon Dutzende Partien gewann, noch mehr Leben auf dem Gewissen hat, wenn er denn eins besäße – ein Gewissen.

Das Ganze wird noch von einer politischen Intrige um einen medial inszenierten Marionettenkönig hinterlegt, aber ich bin ein zu schlechter Schachspieler um alle höchstverwickelten Züge dieses etwas verwirrenden Büchleins zu durchschauen. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse gleich mehrfach, Thorn und Mira treffen sich als Spielfiguren beim Todesschach, töten sich und erstehen wieder auf…
Aber anstatt diesen Verwicklungen weiter nachzugehen, wollen wir uns noch einmal dem Buch und dem Todesschach widmen.

Clark Darltons Handlungsideen klingen alle nicht neu; sei es "Alice im Spiegelland", die die Matrix liefert, oder seien es Orwells "1984", Sheckleys Klassiker "Das zehnte Opfer" (1962) und Stephen Kings alias Richard Bachmans frühes Werk "The Running Man" (1970) etc, sie alle finden ihre Referenz und selbst Shakespeares unsterbliche Idee aus "Romeo und Julia" kommt zu unverhofften Ehren. Vielleicht kommt einem vieles auch so abgedroschen vor, weil berühmte Filmleute sich freigiebig aus diesem Bilderpool bedienten; man denke nur an Woody Allens "Sleeper" (1973) oder Schwarzeneggers "Running Man" (1987).

Vom Schach abgesehen verdient das Buch wohl nur noch aus politischer Sicht Aufmerksamkeit, denn wie so oft im utopischen Roman werden Probleme der modernen Gesellschaft aufgenommen, weitergesponnen, überzogen, um eventuell lauernde Gefahren aufzuzeigen. Das wiederum klingt im Jahre 2004 oft noch genauso frisch wie 1970. Wenn es doch nur etwas tiefer analysiert wäre und nicht nur Symptombenennung bliebe! Was ist real im medialen Zeitalter? Wie möglich ist ein dauerhafter Frieden und Wohlstand oder sehnen sich Menschen tatsächlich immer nach (ein bisschen) Blut und permanenter Abwechslung? Führt die totale und totalitäre Demokratie tatsächlich zu "Dekadenz und Zerfall aller moralischen Begriffe"? Derartig großkalibrige Fragen werden tatsächlich gestellt - aber leider nicht ernsthaft zu beantworten versucht, ignoriert man die eine oder andere pseudo-nietzscheanische Clownerie auf der einen, und ein wenig politikertypisches Demokratiegelaber auf der anderen Seite: "Es ging den Menschen zu gut. Demokratie machte sie schwach und anfällig" (81) und: "Politische Gegner müssen mit Argumenten, nicht mit Drohungen überzeugt werden, sonst werden sie immer Gegner bleiben. … denn es geht um Humanität" (66f.).

Handfester geht es schon beim Todesschach zu. Gesteuert werden die Spielfiguren von zwei gottähnlichen Spielleitern, gespielt wird auf freiem Gelände, dem ein Schachbrettmuster zu Grunde liegt, durch Gräben abgeteilte riesige Felder. Alle Figuren sind unterschiedlich bewaffnet; treffen zwei aufeinander, müssen sie sich auf Leben und Tod bekämpfen. Wer wen schlägt, hängt nicht mit der Zugfolge zusammen. Es kann zu Figuren- und Farbumwandlungen kommen, wenn die niedrigere eine höhere Figur besiegt: Weiß wird dann Schwarz und Messer/Lanze zur Maschinenpistole und Nachtsichtgerät etc. Das gesamte Spiel wird auf verschiedenen Bildschirmen und aus diversen Perspektiven übertragen. "Professor Kofoltow, der Erfinder des Todesschachs, hatte bei der Aufstellung seiner Regeln an alles gedacht. Es handelte sich im Grunde genommen um eine Weiterentwicklung des Schachspiels der mittelalterlichen Maharadschas, die mit lebenden Figuren zogen und schlugen. Kofoltow kombinierte dieses an sich harmlose Spiel mit den Gladiatorenkämpfen der altrömischen Kaiserepoche" (16f.). Anfänglich durften nur Freiwillige teilnehmen, erst später wurde das Spiel durch eine Teilnahme von Io-Gefangenen "entehrt". Ziel war die bedingungslose Unterhaltung der Massen und obwohl diese anfangs gebannt wurden, so mehrten sich doch die Stimmen der Langeweile: ein richtiger, echter Krieg sollte es nun sein!

So abgefahren derartige Hirngespinste auf den ersten Blick anmuten mögen, vor dem Hintergrund der neuesten Realityshows kann einem das Herz in der Brust hüpfen: Hoffen wir, dass die Visionen (nicht) wahr werden?

Clark Darlton: Todesschach. Rastatt/Baden 1981 (1970). 161 Seiten

 

 

--- Jörg Seidel, 13.10.2004 ---


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