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LITERATUR
7. März 2003

A chess player's calculation?
David Hood: The Chess Men

- I love you. I'm sorry.
- You what?
- I'm sorry.
- No, the other thing you said.
- Oh, that...I love you


Man stelle sich zusammen alle negativen Charaktereigenschaften von Fischer, Kasparow und Short vor, mische noch ein wenig Alltagsuntauglichkeit und Weltfremdheit dazu und vor dem geistigen Auge entsteht ein ziemlich exaktes Bild des jungen John Harringhay, bevor er die Katharsis der sich überhäufenden Ereignisse durchlief, die ihn zum liebenswerten Jungen macht, der wieder lachen kann, lieben kann, retten kann und, ganz klar, genial denken. John H. ist eine von zwei zentralen Figuren des Romans "The Chess Men" und er ist – die obige Prominentenriege bürgt dafür – ein Wunderkind, ein Schachgenie, das, zwanzigjährig, sich anschickt, zum besten Spieler der Welt zu werden.

Genie, so will uns David Hood in seinem 1999 erschienen Krimi wohl sagen, wird vererbt, manchmal eben über die zweite Generation, denn Johns Großvater, die zweite Zentralfigur, war ebenfalls ein Genie, allerdings (un)klug genug seine außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht im Schach zu verplempern – was er natürlich hätte tun können, als Bezwinger von Max Euwe! -, sondern sein Hirnschmalz in die aufregendste Wissenschaft zwischen den beiden Weltkriegen investiert, in die Atomphysik. Auf diesem Gebiet schlägt er alle Randfiguren der Wissenschaftsgeschichte, die da Einstein, Heisenberg, Hahn und Bohr heißen; er entdeckt schon um 1940 was bis heute unrealisiert blieb: die Kernfusion. Aus religiösen also moralischen Gründen verschweigt er sein Wissen gegenüber Freund und Feind, selbst olle Churchill muss unverrichteter Dinge wieder abrücken. Noch weniger können amerikanische und deutsch-nationalsozialistische Spione ihn davon überzeugen und das bedeutet selbstredend: trouble and pain! Sie jagen ihn, fangen ihn, foltern ihn, doch ohne Erfolg. Nachdem er alle Unterlagen vernichtet wähnt, zieht er sich unter falschem Namen auf eine kleine Insel zurück, ein halbes Jahrhundert Winterschlaf zu halten, aus dem er erst erweckt wird, als seine einzige Tochter, Mutter des jungen Schachgenius, im Sterben liegt. Zum erstenmal kommen die beiden Hochbegabten in Kontakt. Dabei hätte Prof. Zalapek besser daran getan, friedlich und unerkannt auf seiner Insel zu sterben, denn mit seinem Auftauchen sind sie alle wieder auf den Plan gerufen, die alten und neuen Ganoven und Freunde, die alle an ihm und seinem Wissen interessiert sind, denn Wissen ist nun mal Macht.

Der einstige japanische Musterkommilitone ist nun Seniorchef eines Industriegiganten, der frühere amerikanische Doppelspion Vater des zukünftigen US-Gouverneurs mit Option auf Präsidentschaft; kurz: die Großen aus Politik und Wirtschaft kommen auf seine Spur. Man weiß aus Film und Fernsehen zur genüge, wie so etwas endet: brutal, blutig – mit einer gesunden Anzahl an Kopfschüssen und explodierenden Autos -, schnell, und auch mit ein bisschen Sex. Die besseren dieser Elaborate leisten wenigstens eines: sie sind spannend. Man kann Hoods Buch dieses zumindest nicht ganz absprechen, auch wenn es allzu viele Dinge gibt, die den anspruchsvolleren Leser aufstoßen mögen, seien es die pseudophilosophischen Weisheiten, die einem Autor von Format niemals unterlaufen, seien es die zu gewollten Intimszenen, die er mit der Sensibilität einer Kreissäge beschreibt ("Naked she came to him. Peeled away his clothes. Laid him gently back on her rented bed where she kissed every inch of him until all his tension stood erect in one stiffened part of him. She took him inside and shared everything she had…", 238 ), sei es die primitive Dualität von Gut und Böse (es gibt je einen guten und bösen Politiker/Wirtschaftsboss), seien es die zu klaren Klischees (alle bösen Buben tragen ein "Nazi Smile"), sei es die zu geniale Auflösung des Ganzen, die verdammt an die Olsenbande erinnert (I’ve got a plan") und einer unfreiwilligen Komik also nicht entbehrt, weil sie am Ende doch nicht ganz aufgeht – der Plan fordert immerhin das Leben des alten Mannes -, oder sei es gar die typische Beschreibung fast schon ordinär visualisierter Filmbilder, als wolle der Roman sagen: bitte, bitte bringt mich auf die Leinwand und meinen Schöpfer zum Welterfolg.

David Hood (http://www.leicesterwriters.org.uk/LWC-DavidMartin.htm)

Trotz allem, allein schon der Fakt, dass das Buch gut und flüssig lesbar ist, macht es in einer Zeit eines unübersehbaren literarischen Verfalls, vor allem aber im schachlichen Kontext eher empfehlenswert. Wir haben schon weitaus Schlimmeres lesen müssen!

Schach soll auch das letzte Stichwort sein. Wir lesen in der bewegten Kurzvita des Autors, dass er am Schauplatz Oxford Physik studierte, als Wissenschaftler arbeitete, auch als Autorennfahrer und heutigentags als Geschäftsmann und Manager seinen Unterhalt verdient, so dass man eine gewisse Kompetenz für Kernspaltung, Verfolgungsrennen und Wirtschaftsgebaren unterstellen darf. Aber wie sieht’s mit dem Schach aus? Die gute Nachricht: man kann ihm keinen spieltechnischen Fehler nachweisen. Ob der Einblick in die höheren Regionen der Schachszene wenigstens Teilwahrheit beanspruchen kann, soll beurteilen, wer involviert ist. Jedenfalls lernen wir John, das Schachgenie junior, wie folgt kennen:

"This is the ‚bad boy’ of chess. … Twenty years old. English. Grandmaster at seventeen...Blah, blah, blah – usual shit! Is he gay?" (S.15).

Nein, ansonsten ist alles in Ordnung mit dem Bengel. Nur die üblichen Verhaltensstörungen, Starallüren, Drogenprobleme usw., jemand, der auch mal "Fuck you!" dem konsternierten Livereporter ins Mikro spricht. Schuld an allem ist natürlich die geschäftstüchtige Managerin, die ihn zum Star und sich vor allem zum Reichtum verhelfen will. Zum Glück, möchte man fast sagen, verpulverisiert sie sich in einer Autobombe frühzeitig, wonach die Wege frei sind für sensiblere Seelen den gesunden Kern des Schachrowdies freizulegen. Man kann bei der Lektüre nicht umhin, gelegentlich an die drei wirklichen bad Boys der Szene zu denken und spätestens als Shorts, eh, Johns historischer Sieg im komplettweißen Anzug gegen Kaspa Antropov – er benötigte (1993 in der legendären 5. Partei allerdings zum ersten und letzten Mal, freilich nur um doch Remis anzunehmen) ganze 11 Minuten dazu – beschrieben wird (157f.), wird klar, dass hier auch ein englisches Chesstrauma um Verwindung ringt.

Darüber wird anfänglich viel geschrieben, über den ganzen Schachzirkus, die Sekundanten, die Turniere, die Simultanveranstaltungen, das Business, die Journalisten, die Klischees (Typ: "Plenty of chess players go nuts, especially the good ones.", S. 21; "The tactics of chess are the tactics of business and of war. In fact, they are the tactics of all things.", S. 38) etc., aber nach und nach mit zunehmender Handlungsverwicklung, verliert sich die breit gelegte Schachspur und man fragt sich: wozu das Ganze? Hat es einen sinntragenden Grund? Die Antwort kommt spät und sie kann nicht überzeugen! Sie lässt sich in ein einziges Wort fassen:

"Clever" (242).

Ja, man glaubt es kaum, Hood zieht die alte Kamelle noch einmal aus dem Hut. Schachspieler sind clever, sie können Ampeln manipulieren und Fahrstühle, Computer auseinandernehmen und hinterlistige Pläne schmieden; alles eben was man braucht, um ein paar Berufskiller und andere Böslinge kalt zu stellen.

"We need the guy at the chessboard, not the little boy. Can you do it” (228)?

Natürlich kann er! Und warum ist das so? Nun, weil er Schach spielt! Fertig ist der Kreis! Little John, wenn auch noch mit Rechtschreibeschwächen aber schon geläutert und auch sexuell erfahren, findet zu allem Überdruss seinen genialen Plan auf dem - Schachbrett:

"John set up the chess set. White moves first. Pawn in front of king. Then black. Then white. The pattern emerged. Something familiar. Something to hold on to. In half an hour, he had completed the game. Then he started to think about the pieces of their troubles: a kidnapped king, a corrupt knight trying to make his mark, and a pawn shepherded by a black rook towards the eighth square – a soon to-be state governor. It’s strange the way, in a game of chess, the big pieces sometimes trade off against one another, so all that’s left are the pawns. Perhaps this was the escape” (275).

Und als Kate – das ist die, die ihn reinließ – fragt, wie das klappen soll, da macht er was? – er erklärt ihr alles am Sandkastenschachbrett:

- What’s the plan?
- John smiled. "Come over to my chessboard. I’ll explain how it works” (283).

Schließlich muss selbst das Seniorgenie kurz vorm Ableben zugeben:

"I never thought of it”.

worauf der Sprössling lakonisch antworten kann:

"A chess player’s calculation" (306).

So also lautet die Frohe Botschaft Johns, des Evangelisten: Wenn ihr gut Schach spielet, so sorget nicht, was ihr reden und tun sollt; denn es soll euch zu jener Stunde gegeben werden, was ihr reden und tun sollt. Den nicht ihr seid es, die da reden und handeln, sondern eures königlichen Spieles Geist, ist es, der da redet und handelt. [1]

I didn’t get it – aber das liegt wohl an den beschränkten Möglichkeiten.

 

(David Hood: The Chess Men. London 1999. 320 Seiten. ISBN: 0-75283-476-2)

Das Buch liegt auch in deutscher (David Hood: Schach und Matt. Taschenbuch Nr. 61259, 393 S., 7.50 Euro), polnischer und griechischer Übersetzung vor, aber ich glaube nicht, dass man es auf Deutsch wird ertragen können. Vgl. dazu: http://www.schachfreunde-hannover.de/literat.html

Mehr zu David Hood unter: http://www.leicesterwriters.org.uk/LWC-DavidMartin.htm

 

--- Jörg Seidel, 07.03.2003 ---


[1] Vgl. Neues Testament, Mt 10, 18f.


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