RUBRIKEN
Home
Polemik/Aktuelles
Literatur
Philosophie/Psycho
Über den Autor
Summaries &
Translations
SK König Plauen
Mehr Philosophie:
seidel.jaiden.de
LITERATUR
22. Oktober 2003

J. R. Kennedy: Schach dem Vorsitzenden

Nur Maos China ist im Besitz eines "synthetischen Enzyms", "mit dessen Hilfe das dringendste Problem der Menschheit in Krieg und Frieden gelöst werden könne". Daraus folgt mit zwingender Logik: "Für die Welt bedeutete es Sicherheit, wenn wir die Formel finden und China entreißen können".

Jon Hathaway ist der geeignete Mann das lebenswichtige Geheimnis der falschen Seite abzujagen und es der richtigen, der Seite der Freiheit, zuzuführen. Mit neuester Hightech ausgerüstet und unter falscher Identität, erlangt er das Vertrauen des "großen Führers" höchstselbst und mit Hilfe einer Generalvollmacht aus dessen Feder auch den Zugang zu allem, was Rotchina wert und heilig ist. Das Geheimnis wird gelüftet, die Mission erfolgreich ausgeführt, das top-secret-Labor fliegt effektvoll in die Luft, die Formel gelangt endlich in vertrauensvollere Hände.

Wie dies alles zustande kommt, bleibt allerdings nur halb aufgeklärt, denn durch Verständlichkeit zeichnet sich dieses wilde Buch nun wirklich nicht aus. Trotzdem liest man es paradoxerweise in einem Zug; es ist durchaus spannend geschrieben, auch wenn es sich gerade im Finale in unentwirrbarem Chaos verliert, dort nämlich, wo jeder jeden zu verdächtigen scheint: Tsuin verdächtigt Nai und Ho Li zweifelt an Mafee und Po an Fong und Lui auch an Wu oder umgekehrt und in allen Varianten und vor allem usw. Es benötigt ein gutes Personengedächtnis, wer dem Geschehen tatsächlich folgen will, aber das ist ja, wenn man so möchte, der eigentliche Vorteil derartiger Bücher, dass man ihnen eben nicht detailliert folgen können muss, um sie verstehen und genießen zu können.

Seine größte Stärke besteht wohl in der authentisch wirkenden Beschreibung des Lebens im China der 60er Jahre unter den Zwängen der alles beherrschenden Ideologie. Großartig geschildert etwa sind die Szenen parteilich verordneter "Selbstkritik" oder General Tsuis peinigendes Dilemma, der sich lange Zeit kein Bild von den Ereignissen machen kann, weil er von einer einzigen festen Prämisse ausgeht: "Wir dürfen aber nichts als gegeben hinnehmen außer der Weisheit des Vorsitzenden und der bösartigen Findigkeit der Klassenfeinde".

Was nun Herausgeber und Übersetzer dazu veranlassten, den Originaltitel "The Chairman" (Der Vorsitzende) mit "Schach dem Vorsitzenden" wiederzugeben und es mit einem expliziten Schachthema umschlagseitig zu bebildern – Mao als König -, liegt jenseits meines Verständnisses. Fakt ist, dass der folgende Umschlagtext diesbezüglich eine Fehlinformation darstellt (Traue nie Umschlagtexten!): "Wie in einem strategischen Spiel werden in diesem Roman Amerika und China miteinander konfrontiert. Jeder Schachzug der Figuren enthüllt Stück für Stück ihre Mentalität und deckt damit eine Wirklichkeit auf, von der wir erstaunlich wenig wissen und über die man kaum jemals in so spannender Manier so viel erfuhr".

Genau genommen findet das Schach ganze fünf Mal Erwähnung im Text, am signifikantesten auf Seite 79: "Wie der Vorsitzende lehrt, bringt jeder unserer Schachzüge einen Gegenzug zuwege. Je mehr Züge wir machen, desto mehr Gegenzüge gibt es. So exponiert sich der Feind; jedoch nur wenn wir wachsam bleiben". Aber darüber hinaus ist die Konstruktion eines Schachbezuges vollkommen irrig. Selbst strukturell gesehen muss man das für ein Gerücht halten, denn zu viel Durcheinander regiert das Geschehen, als dass man ernsthaft von einem "strategischen Spiel" sprechen könnte, und Geheimdienstarbeit auf diesem literarischen Niveau als Schach zu beschreiben, hat sich bereits an anderen Beispielen als verfehlt erwiesen.

Jay Richard Kennedy: Schach dem Vorsitzenden (The Chairman. 1969). Bastei Lübbe. Bergisch Gladbach 1979. 270 Seiten

 

--- Jörg Seidel, 22.10.2003 ---


Dieser Text ist geistiges Eigentum von Jörg Seidel und darf ohne seine schriftliche Zustimmung in keiner Form vervielfältigt oder weiter verwendet werden. Der Autor behält sich alle Rechte vor. Bitte beachten Sie dazu auch unseren Haftungsausschluss.

 

Impressum
Copyright © 2002 by Christian Hörr
www.koenig-plauen.de