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LITERATUR
29. März 2007

Waldemar Lysiak: Schach dem Kaiser

Dieser historische Verschwörungsroman hat alles, was ein Bestseller heutzutage braucht und wurde tatsächlich allein in Polen eine Million Mal über den Ladentisch gereicht. Ein kompetenter Historiker nimmt sich einer genial ausgeklügelten Intrige um Napoleon an, die wohl sagenumwobenste Gestalt der neueren Geschichte. Was braucht es mehr? Er jongliert dabei beeindruckend mit seinem Wissen, was beim Leser das beruhigende Gefühl der Authentizität hervorrufen soll. Jahre vor Umberto Ecos bahnbrechenden Romanen "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel" hätte hier schon ein Ecosches Ereignis entstehen können – wurde es aber nicht. Warum? Eco selbst merkte mal süffisant an, dass man kein Bestsellerautor werde, wenn man Bulgarisch schreibt; mit Polnisch vielleicht auch nicht. Aber das ist nicht der Grund, auch wenn einige der sprachlichen Unbeholfenheiten auf die Übersetzung zurückzuführen sein mögen. Die Ursache liegt im Buch selbst, von dem Lysiak behauptet, dass es ein "literarischer Dokumentarbericht" sei, also weder ein Roman im eigentlichen Sinne noch eine historische Abhandlung.

Beschrieben wird ein in England ausgehecktes Komplott gegen den französischen Kaiser. Man will sich dessen Vorliebe fürs Schachspiel und die Begeisterung für Kempelens Schachautomaten zu Nutze machen, um ihn gegen einen Doppelgänger auszutauschen. Den "König vom Schachbrett entfernen und dafür einen Bauern auf den Thron setzen", lautet die Parole. Würde der Imperator die Chance verstreichen lassen, ins Innere des Automatons zu kriechen, wenn man sie ihm böte? Just in diesem Moment könnte man ihn betäuben und gegen sein Double auswechseln. Um diesen waghalsigen wie brillanten Plan auszuführen, der an allerhöchster Stelle entworfen wurde (Castlereagh [1] und Perceval [2]) benötigt man die entsprechenden Haudegen. Im jungen Henry Bathurst glaubt man den geeigneten Mann gefunden zu haben. Es handelt sich dabei um historische Personen, was den Reiz erhöht, denn es bereichert das Geschehen immer mit der faszinierenden Frage: Was wäre gewesen, wenn? Wie hätte sich der Lauf der Geschichte geändert? So verwundert es nicht, dass gerade das erste Kapitel als überaus gelungen erscheint. Leider zieht Lysiak aus den richtigen Prämissen die falschen Schlüsse. "Niveauvolles Schachspiel", schreibt er, " das ist hohe Kunst, zu der es nur die menschliche Intelligenz bringt". Selbiges gilt freilich auch für das Schreiben eines Romans, der Ordnung und Disziplin vom Verfasser verlangt. Schnell jedoch entgleiten dem Historiker die Erzählfäden. Aus seinem jungen Helden, der anfangs noch erklärt, dass das Spiel das eigentliche Erregende für ihn sei, wird bald ein unglaubwürdiger Kino-Robin Hood, mehr noch ein James Bond, ein Superheld mit Superwaffen, der allerorten Tod und Verderben sät; seine Truppe Verwegener wandelt sich im wahrsten Sinne des Wortes in eine Komödiantengruppe unglaubhafter Charaktere und aus den historischen Begebenheiten wird ein unübersehbarer Wust von Namen und Daten, die auch dann nicht plausibel werden, wenn Lysiak ein ellenlanges Quellenverzeichnis anfügt. Historisch ist das, das wird zunehmend deutlich, schlicht und einfach Unsinn und sollten sich Wahrheiten darin befinden, dann sind sie im phantastischen Haufen nicht mehr auszumachen. "Alles war wie im Märchen, es fehlte nur der Zauberer", heißt es an anderer Stelle und nichts kann das Buch besser kennzeichnen; ein begabter Autor als Zauberer hätte aus der märchenhaften Materialfülle wirklich etwas machen können.

Trotzdem liest sich das Buch überraschenderweise flüssig, was nur beweist, wie stark die Ausgangsidee ist: Man will wissen, ob das "Königsgambit" gelingt und man hält den Atem an, als es endlich soweit ist. Wie sooft beim Gambit freut man sich zu früh, die anfängliche Überrumpelung wiegt den materiellen Nachteil nicht auf. Auch Bathurst muss lernen, dass seine Bauern im Spiel eigene Ideen vom Lauf der Geschichte haben, die ihm ständig in die Quere kommen und schließlich zum Verlust der Partie führen.

Noch immer will uns Lysiak einreden, dies alles sei tatsächlich geschehen oder hätte geschehen können. Das darf man einem Literaten noch durchlassen, nicht aber einem Historiker. Vor allem in seinen angehängten Kommentaren tischt er eine Räuberpistole nach der anderen auf und versucht diese durch die abstrusesten Herleitungen zu "beweisen", ganz im Stile eines von Däniken und ähnlichen Scharlatanen, die immer schon wissen, was geschehen ist und dafür "Beweise" suchen, anstatt Evidenzen zu sammeln und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.

So bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack, eine gewisse Enttäuschung, weil einmal mehr eine hervorragende Chance vertan wurde. Eine an sich spannende Geschichte leidet nicht nur unter stilistischen Unvollkommenheiten, sondern vor allem unter zu viel Unwahrheit, ja, schlicht und einfach, Spinnerei.

Waldemar Lysiak: Schach dem Kaiser. Hamburg 1995. 423 Seiten

 

--- Jörg Seidel, 29.03.2007 ---


[1] 1769–1822; zur Handlungszeit Kriegsminister, späterer Außenminister und Vertreter Englands auf dem Wiener Kongress
[2] 1762–1812; zur Handlungszeit Oberster Richter, späterer Prime Minister Englands


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