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LITERATUR
8. Februar 2006

Barry N. Malzberg: Tactics of Conquest

"Most of chess is daydreaming after all."

Wir sind das falsche Publikum für Malzbergs Buch, wir Schachspieler. Und er muss es gewusst haben, muss das Risiko bewusst eingegangen sein. Schließlich, wie viel Prozent der potentiellen Leserschaft lassen sich davon auch abschrecken, von all dem technischen Unsinn, den er über das Spiel schreibt? Drei Prozent? Fünf Prozent? Die überwältigende Mehrheit jedenfalls wird sich davon nicht abstoßen lassen, im Gegenteil, um ihnen den Zugang zu erleichtern, begeht er wissentlich den Affront. Malzberg ist nicht umsonst ein Meister seines Faches, insbesondere im Science-Fiction-Bereich, mit mehr als 70 Büchern auf seinem Konto, und viele davon Bestseller.

Es genügt an dieser Stelle nicht über den zahlreichen Humbug aufzustöhnen, wie man das gewöhnlich bei weniger bedeutenden Autoren tut. Vergessen wir also, dass uns der primitivste Anfängerfehler, das Narrenmatt als hohe Schule des Großmeisterschachs vorgestellt wird, verzeihen wir, dass David, der Spitzenspieler, von Nizimov-Indisch statt Nimzo-Indisch oder Steinmetz statt Steinitz spricht, übersehen wir gelassen all den Unsinn über Ruy Lopez und Sizilianisch, lächeln wir über die seltsame Vorbereitung des Topspielers auf ein wichtiges Match, wenn er sich die "Unsterbliche" anschaut, um uns zu beweisen, dass er sie aus dem Kopf beherrscht, und lachen wir vor allem über das übersehene Matt in einem Zug, besagtes Narrenmatt in der entscheidenden Partie. Das Buch hat viel mehr zu bieten, seine Weisheiten und Einsichten wiegen selbst die größte Banalität auf und das Narrenmatt dient ihm letztlich auch kompositorisch, denn an seinem Leitfaden entspinnt sich die Basishandlung, von der aus, wie Varianten, ein ganzes Gewebe an Seiten- und Tiefensträngen sich fort spinnt.

David und Louis spielen um das Schicksal der Welt, des Universums, das sich am Scheidepunkt befindet. Apokalypse. Nur ein Teil des Universums kann fortbestehen und jeder der beiden Spieler repräsentiert einen solchen. Masterminds hinter diesem Plan sind die "Overlords" eine überlegene Alienrasse, die sich um die Ausführung kümmern wird.

"You mean we’re truly going to play for the fate of the universe?”

"Exactly,” the Overlord said, "a forty-one-game chess match to be broadcast throughout all the civilized sectors of your universe so that everyone may witness it…”

"But why chess? Why me? Why this planet?”

"Because chess is ideal for such a final judgement; it is a methodical game with absolutely no element of luck and therefore can be no complaints by the loser. Chess is known only to your planet, and you and your opponent are the most evenly matched living players. Good against evil. No other chess players are so close in true and potential abilities. There is no other reason.”

Mehr Begründung braucht ein Science-Fiction tatsächlich nicht.

In langen inneren Monologen gestattet uns David Einsicht in sein Denken und sein Verhältnis zu Louis. Er hält sich selbst für den besseren Spieler, auch wenn er bereits deutlich zurück liegt. Noch immer behauptet er, dies mit Absicht zu tun, denn für ihn steht noch viel mehr auf dem Spiel. Erst nach und nach werden die inneren Konturen deutlich, entpuppt sich das Buch mehr und mehr als Psychostudie einer kranken, selbstverliebten und eindimensionalen Seele. Oder besser zweier Seelen, denn auch Louis, "the twin prodigy", leidet unter ähnlichen Ängsten und Symptomen, typisch menschlichen Ängsten, die sich aus dem Schachgroßmeister nur besonders deutlich heraussezieren lassen. Und so gewinnt das Buch allgemeines Interesse, etwa wenn es nach den ethischen Dimensionen fragt: Wie soll man sich verhalten, wenn die Folgen der eigenen Handlung zwar eine Partei bevorteilen oder ihr sogar das Überleben gestatten, die gegnerische Partei aber benachteiligen oder gar zu vernichten drohen. Genügt es, nur auf der "richtigen Seite" zu stehen und sehen sich die anderen nicht ebenfalls als "richtige Seite"? Ja, das ist die Abstraktionshöhe, auf die Malzberg seine Leser mit einer scheinbaren Phantasiegeschichte führt. Am Ende wissen wir nie, wozu unsere Handlungen gereichen; nur ein "Overlord" mit seinem Overview kann darüber bestimmen, und auch er hat seine Grenzen.

Aber die Geschichte ist besonders auch für den Schachspieler interessant, den Schachprofi noch dazu. Sollte nicht noch heute fast jeder Insider aufjubeln, wenn er solche Zeilen liest:

"The trouble with FIDE is that it’s a completely trivial organization… They’re not interested in chess, in improving the structure of the game, they’re only interested in their miserable little prerogatives, in continuing to maintain a stranglehold over the game.”?

Selten jedoch wurde so sprachgewandt in das Innere der Spielsituation hinein geleuchtet, in ihre komplexe Vermischung aus Liebe und Hass, Mut und Angst, Freude und Verzweiflung. Wer aus eigener Erfahrung weiß, wovon der Autor spricht, dessen Herz beginnt schneller zu schlagen. Und je weiter einer sich in diese Welt verstrickt, wie der praktizierende Großmeister eben, umso abgründiger (oder auch flacher – das ist eine Auffassungsfrage) werden die entblößten Wahrheiten. So gesehen sollte es Pflichtlektüre werden für all jene, die sich zu tief ins Spiel verrannt haben, die den Kopf daraus nicht mehr erheben können.

Vor allem aber begeistert das Buch durch die zahlreichen glänzenden Ideen, Definitionen und Apercus zum Schach, von denen hier nur einige angeführt werden sollen:

"Chess is a trapdoor into uncertainty."

 

"Here we have a highly abstract, coldly mathematical game devoid of odors, scents, implications, belches, coughs, sniffles, accusations and all of those elements which contribute to the making of what non-masters erroneously call ‘real life.’”

 

"Each game is an individual expression of its maker; ten different weak players will be weak in a different way.”

 

"Chess masters are commonly considered to be among the least stable of individuals. Perhaps as a group only science-fiction writers have a similar collective insanity.”

 

"Chess is an artefact, a set of ruins in which, however distantly, maybe perceived the intricate and terrible outlines of a long perished civilization.”

 

"It’s only a game, a silly trivial game.”

"No, it isn’t. It’s war. It’s life.”

"That’s what they tell you in the books. That’s what so-called experts say because they like to build them up and give their readers the feeling that they’re big, important men. Actually, it’s a very trivial pastime, and everyone who’s ever played chess knows that I’m telling you the truth. It has nothing to do with life at all. Most good chess players, masters and such, are snivelling, maladjusted wrecks, and the only thing they can do at all is play chess well. If they didn’t have that they’d go crazy.”

 

"God makes less sense than chess does.”

Wer will, kann in Malzbergs Buch ein Machwerk sehen, voller schachlicher Unsinnigkeiten, aber man kann es auch als überaus weises Werk über Sinn, Zweck und Psychologie des Spiels und des Lebens überhaupt lesen:

"Metaphors are ignored by grandmasters, who know the truth: that only the game matters, that it can be explained only on its own terms, that it is really about nothing. About everything.”

Barry N. Malzberg: Tactics of Conquest. New York 1973

 

 

--- Jörg Seidel, 08.02.2006 ---


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