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LITERATUR
30. März 2004

Klaus Möckel: Gespensterschach

Die legendäre DIE–Reihe [1] zeichnet sich vor allem durch eines aus: belanglose, aber lesbare Krimis. Sie bietet literarischen Unterhaltungskünstlern ein Forum, beliebten Schriftstellern wie Harry Thürk [2], Wolfgang Schreyer, Günter Prodöhl, Gert Prokop, Hans Pfeiffer, Tom Wittgen [3], ky [4], um nur einige zu nennen. Spritzige Unterhaltung und gedämpfte Spannung, keine schwere Kost und nichts, was einem den Schlaf rauben würde, erwartet und bekommt man nun schon seit mehreren Jahrzehnten; auch Klaus Möckel erfüllt mit "Gespensterschach" die Vorgabe voll und ganz. Wichtig dabei bleibt für ihn, wie für einen Großteil seiner Kollegen, die Ost-Identität. Man wird es in vogtländisch/westsächsischen Kreisen interessiert zur Kenntnis nehmen, dass Möckel aus Kirchberg/Sachsen stammt.

Sein 1995 erschienener Krimi spielt (zumeist) im Osten Berlins, wo der Privatdetektiv Krey, der stilgerecht einen Wartburg fährt und "Margonwasser" trinkt, den Auftrag erhält, Aufenthalt oder Schicksal einer verschwundenen Künstlerin ausfindig zu machen. Schnell stellt sich heraus, dass organisierte gesetzwidrige Aktivitäten den Hintergrund ihres Verschwindens abgeben: Kunstdiebstahl und -handel. Man lässt sich in diesen Kreisen nicht gern ins Handwerk pfuschen und Krey hat mehr als eine brenzlige Situation zu überstehen. Nicht alles ist dabei auf kriminelle Energie zurückzuführen, sondern auch auf soziale Missstände, nicht zuletzt auf spezifische Ost-Probleme nach der Wende. Prügelnde Skins und saufende Rocker gehören ebenso zum Alltag wie Arbeitslosigkeit, heruntergekommene LPGs, mehr oder weniger gelungene Vergangenheitsbewältigungen, der sogenannte "Aufschwung Ost", vor allem aber die allgegenwärtige Angst vor den Gefahren der neuen Gesellschaftsordnung, der ansteigenden Kriminalität. Diese stets gegenwärtige, aber nie aufdringliche soziale Komponente ist vielleicht die stärkste Seite des Krimis und garantiert den Zuspruch zumindest der Vereinigungsfrustrierten. Das Ganze liest sich – in einem Wort – wie das Drehbuch eines "Polizeiruf 110". Tatsächlich wurden andere Bücher Möckels bereits im DEFA-Studio verfilmt [5].

Detektiv Krey löst die Fälle mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus und einer manchmal etwas aufgesetzt wirkenden Coolness. Es würde nicht wundern, wenn Möckel sich als literarischer Jünger Mickey Spillanes zu erkennen gäbe. Wie schwer es allerdings ist, ein so einmaliges Talent zu erreichen, zeigt sich oft am unauffälligsten Detail, beispielhaften Sätzen wie: "…bis Reinickendorf war es von mir aus nicht weit" oder "Die Haustür, mit einem Schnapper versehen, war zu" (beide 139). Von solchen Konstruktionen wimmelt das Buch. Sie machen die Differenz deutlich.

Nicht weil es die detektivische Tätigkeit mit dem Schachdenken vergleicht – das ist so alt, wie das Schachmotiv im Krimi selbst -, sondern weil sich Krey auf eine bestimmte Schachvariante bezieht, eben das "Gespensterschach" (manche kennen es auch als "Geisterschach", "Blindes Schach" oder "Verdecktes Schach" [6]), gebührt dem Buch die Aufmerksamkeit der Schachinteressierten. Das Stichwort wird schon in der ersten Erwähnung gegeben:

"Es war, wie wenn man beim Kartenspiel oder bei einer Schachpartie plötzlich eine Chance entdeckt, den Gegner zu packen. Allerdings hielt sich der Gegner hier, sofern es einen gab, bisher völlig bedeckt" (30).

Von dort ist es dann nicht mehr weit bis:

"Ganz einfach war es nicht, zu gültigen Schlüssen zu kommen. Als Jugendliche hatten wir uns die Zeit manchmal mit Gespensterschach vertrieben, einem Spiel, das wenig bekannt ist und neben einer besonderen kombinatorischen Gabe auch Glück erfordert. Wenigstens drei Personen sind dazu notwendig: außer den beiden Gegnern noch ein Vermittler, der das Geschehen überwacht und nicht ausführbare Züge verhindert. Denn die Kontrahenten der Partie sitzen sich bei dieser Variante des königlichen Spiels nicht direkt gegenüber, sondern an getrennten Brettern. Sie haben nur die eigenen Figuren vor Augen, erfahren die Züge des anderen nicht und setzen die Steine sozusagen ins Ungewisse hinein. Lediglich durch Hinweise des Vermittlers, der als einziger die Übersicht hat und bisweilen ein Schach verkündet, eine Figur vom Brett nimmt, die geschlagen wurde, einen Zug für nicht möglich erklärt, kann man etwas über die Position des Widersachers erraten. Doch das Verführerischste an dem Spiel ist die stets wachsende Spannung. Wenn zu Beginn der Partie Weiß und Schwarz nämlich noch vorsichtig in der eigenen Hälfte operieren, also die Ruhe vor dem Sturm herrscht, so ist später die Feindberührung, der jähe Zusammenprall, unvermeidlich. Plötzlich erfolgt der Schlag aus dem Hinterhalt, ein Offizier, den man für wichtig hielt, wird liquidiert, der eigene König gerät in Gefahr. Oder man merkt umgekehrt, dass man den Gegner unvermutet gepackt, verletzt, in Bedrängnis gebracht hat. Dann heißt es, die richtige Strategie zu entwickeln, genau zu kombinieren, um ihn nicht mehr entkommen zu lassen".

Dann allerdings verlässt Möckel den zulässigen Bereich und geht zur weniger sinnigen Schach- als Weltmetapher und zu den personalen Figuren über. Dabei schien die Analogie von Detektivarbeit und Gespensterschach ob ihres Zufallsmoments und Geheimnischarakters doch sogar besser geeignet als das altgediente Schachgleichnis, denn schließlich hat man es beim klassischen Schach lediglich mit den verborgenen Gedanken des Gegners zu tun, wohingegen die kriminalistische Deduktion zumeist den Gegner gar nicht kennt und ihn durch ein Phantom, ein Gespenst ersetzen muss.

"Vieles an dem Fall, mit dem ich mich im Augenblick herumschlug, erinnerte an Gespensterschach, und wenn man den Vergleich weiterführen wollte, so war der erste ernsthafte Zusammenprall am gestrigen Tag erfolgt. Malstrate, eine wichtige Figur im Spiel, war vom Brett geflogen und die erste harte Attacke gegen mich aus dem Dunkel heraus erfolgt. Vielleicht hoffte man, dass ich die Partie vorzeitig aufgab. Falls nicht, hatte ich bestimmt mit weiteren hinterhältigen Manövern und Angriffen zu rechnen" (98f.).

Schließlich ist also doch nur alles ein Spiel; warum nicht auch mal ein Spielchen "Gespensterschach"?

Klaus Möckel (einziger Sieger beim Casino Simultan 2001) und Viktor Kortschnoj
Bildquelle: http://www.chessbase.de/events/events.asp?pid=120

 

Klaus Möckel: Gespensterschach. Berlin 1995. "DIE KRIMIS 177". 158 Seiten

Mehr zu Klaus Möckel unter:
http://ourworld.compuserve.com/homepages/KARR_WEHNER/moeckel.htm

Klaus Möckel, geboren am 4.8.1934 in Kirchberg/Sachsen, erlernte den Beruf des Werkzeugschlossers, studierte Romanistik in Leipzig und arbeitete als Assistent an der Universität Jena. Seine Dissertation schrieb er über Saint-Exupery und war anschließend als Verlagslektor tätig. Beim Verlag Volk und Welt machte er sich bald einen Namen als Herausgeber, Übersetzer und Nachdichter vor allem moderner französischer Dichter. Seit 1969 arbeitete er als freier Autor und veröffentlichte ein gutes Dutzend eigener Bücher, darunter einige Kriminalromane. Einige seiner Werke wurden ins Tschechische und Slowakische übersetzt.

 

--- Jörg Seidel, 30.03.2004 ---


[1] Gesamtauflage 17 Mio. Exemplare
Interessanter Artikel: Helmut Eikermann: Das Ende der Ost-Krimis? Bemerkungen zur Kriminalliteratur in den neuen Bundesländern http://www.berliner-lesezeichen.de/lesezei/Blz97_05/text01.htm
[2] Der mit "Die Stunde der toten Augen" allerdings auch ein bleibendes Buch schuf.
[3] Pseudonym für Ingeburg Siebenstädt
[4] Pseudonym für Dr. Horst Otto Oskar Bosetzky
[5] 1989 POLIZEIRUF 110-Drei Flaschen Tokaier (Serienfilm, Fernsehen der DDR, 80 Min) (Szenarium: Margot Beichler, Drehbuch: Udo Witte und Rolf Laskowski, frei nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Möckel, Regie: Udo Witte) EA 27.8.1989 / 1989 POLIZEIRUF 110 - Variante Tramper (Serienfilm, 80 Min, DFF,) (Nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Möckel) EA 19.2.1989 DDR1
[6] http://mitglied.lycos.de/buchenwallduern/Sonstiges/abarten.html


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