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LITERATUR
6. Januar 2003

Peggy Nicholson: Checkmate

Chess robbed him of everything. He sacrificed everything else in his life for one single-minded purpose.

 

A grandmaster, like Richard he would see five, six, seven moves ahead of where he was playing at any point in a chess game. And in life? She wondered.

An kaum einem Ort erwartete man eine Hasstirade gegen das "Königliche Spiel” weniger als in einer gewöhnlich harmonietriefenden Liebesschnulze. Und doch! Hier steht’s! Als die liebende und noch sehr attraktive und noch wirklich gut im Saft stehende junge Mutti mit dem seltsam lächerlichen Namen "Coffee" von einem Fremden erfährt, der gerade mit ihrem neunjährigen Sohne "ein Spiel, ein Brettspiel" spiele, da schreit es in angstvoller Hysterie ganz plötzlich in ihr auf und aus ihr heraus:

"A game. There was only one game she feared… Chess… It sounded like the hiss of the river, black water on icy rock.”

Und sie erinnert sich:

"The look on the Russian’s face had been fear – a fear so deep, so physical, that her own stomach had twisted with pity and revulsion. They called this a game? No one should be made to feel such fear!”

"And wasn’t that what chess was all about – the ruthless and systematic removal of your opponent’s choices until he was driven to the final square of his defeat?”

Und sieht darin eine…

"…dark seductive world of combat and obsession. Death in miniature, meted out on a black and white checked battlefield.”

Und gesteht sich:

"I hate chess because it makes a person narrow-obsessive.”

"I’m tired of game players. I’m tired of games.”

Und fasst schließlich zusammen:

"Because although the word chess brought an innocent pastime to mind to most people, to Coffee Dogan it mean something else entirely. She’d not let it destroy her son.”

Diese erschütternde Szene, von der hier nur wenige Ausschnitte gegeben wurden, spielt sich in einem idyllischen Urlaubsort in den schneebedeckten nordamerikanischen Bergen ab, wo nur vergnügungssüchtige Touristen sich verlaufen, wo man glücklich sein kann und die Wunden der Vergangenheit zuheilen. Und dann taucht dieser Mann auf, Dodge Phillips, und spielt mit dem unschuldigen Kinde ausgerechnet Schach und sieht auch noch verdammt gut aus und passt doch eigentlich so ausgezeichnet, mit seiner breiten, behaarten Brust, den dunklen Haaren und schwarzen Augen, zur liebesentwöhnten blondmähnigen Coffee, die so lange, so verflucht lange schon nicht mehr den Duft eines prächtigen Mannsbildes freudvoll einsaugen durfte. Alles könnte wie im Märchen sein, wäre er doch nicht ausgerechnet – Schlimmeres kann man sich nicht denken – Schachgroßmeister: "rating 2520, if that means anything to you".

Coffee weiß Bescheid. Schon einmal hat sie das alles durch, als sie noch mit Richard verheiratet war, mit Richard Dogan, dem Richard Dogan, dem einstigen Schachweltmeister, der in seinem Leben nur eines kannte – Schach -, der nie lachte, der selten nur da war und der sich schließlich, nach dem Gewinn des höchsten Titels, offenbar des Lebenssinns beraubt, in die Berge zum Sterben begab.

"The game that had stolen all Richard’s joy in life, and had than taken his life".

Nun bedroht es den Sohn, dessen tief eingewurzelte Schachinstinkte unüberlegt geweckt wurden:

"Jeffie had already moved into danger – had been placed in terrible danger by this meddling stranger! For three long years, since the death of her husband, Coffee had kept Jeffie save from chess. She’d thrown out every chessboard in the house, had locked all the scrapbooks of Richard’s victories away in the attic along with his trophies. She’d forbidden Maureen, Richard’s own mother from even saying the fatal word in Jeffie’s presence. And now this stranger had opened the door she thought she’d locked forever”.

"A shaft of pure terror shot through her. Phillips reopened the Pandora’s box of Jeffie’s terrible craving for chess”.

Man greift wohl nicht zu weit, hinter beiden Masken, der des Vaters und des Sohnes, die mythische Gestalt Bobby Fischers - zu Beginn und nach dem Ende seiner Karriere - zu sehen, und muss Peggy Nicholsons literarische Verarbeitung des auf menschlicher Tragödie beruhenden Schachmärchens als Bedauern und Bemitleiden dieses kümmerlichen-genialen Geistes begreifen [1].

 

Dodge Phillips jedenfalls kam, die Biographie des legendären Richard zu schreiben und Informationen aus erster Hand zu sammeln; fast nebenbei infiziert er dabei den Jungen mit dem tödlichen Schachvirus. Wen wundert’s also, dass Coffee den Fremden so schnell als möglich wieder loswerden möchte, um die verlorene Seele des Kindes erneut zu retten? Aber Dodge lässt sich nicht abspeisen, er will die Story, er will das Buch und – er will das aufkeimende Genie des Wunderknaben entfalten. "Can’t you see that?", fragt er die machtlose Mutter, "It’s in his blood. You try to lock the talent up inside of him, and Jeff’s going to ex-plode". Tatsächlich, alles was Jeff von nun an denkt ist Schach! Und auch Coffee, aus ganz anderem Winkel, sieht plötzlich an allen Ecken und Enden nur noch bedrohliche Schachmuster und -symbole. Der doppelte Grundkonflikt ist entwickelt. Hinzu kommt noch Anke, die blonde Deutsche mit ihrem blonden Kind, von der man früh schon ahnt, welche Rolle sie spielt - Richards heimliche Turnierliebe – und wozu sie dient: dem unausweichlichen Happy End aller.

Alle Sinne ziehen Coffee hin zu diesem Mannesmagnet (weiß die Autorin etwa nicht, dass ein attraktiver, muskelgestählter, braungebrannter Schachgroßmeister fast eine contradictio in adjectio ist?) und doch stoßen alle rationalen Überlegungen von ihm ab. Ursache und Austragungsfläche dieses inneren Zwistes ist, wir wissen es nun, das teuflische Spiel, welches Coffee fürchtet wie die Pest, wie der Teufel das Weihwasser, wie der Vampir den Knoblauch. Schachspieler in ihren schönen Augen sind Aussätzige, leblose Monster, die ihr einst warmes Herz beim Schachmichel gegen den kalten Erfolg hingaben. Dem Erfolg wurde auch die frühe Liebe und Ehe geopfert und nun droht der Sohn der Schachhölle geopfert zu werden. Zuviel für Coffee: "No, you can’t have him. I’ve given one to chess, I’ll not give another". Doch sie kämpft gleich gegen drei starke Ströme an: die Beharrlichkeit Dodges’, der nicht eher Ruhe geben wird, bis er alles über Richard weiß, und die plötzlich erwachte Schachliebe des Kindes, das bald schon nicht mal mehr ein Brett braucht, um das vermaledeite Spiel zu spielen; am schlimmsten fast ist die Sehnsucht…. Ihr Verstand entscheidet sich für das Wohl des Jungen, ihr Herz will den Mann. Sie wird zu Kompromissen gezwungen und ist im doppelten Sinne verloren, gewinnt aber in einem plötzlichen Anfall von Erleuchtung beides. Es folgen heiße Liebe auf kaltem Schnee und Einsicht in die prinzipielle Verträglichkeit von Schach und Leben. Man muss nur die richtige Mischung finden, die ganze Weite des kulturellen Spektrums eröffnen.

"I want him to have friends, a wide range of interests. I don’t want him to live like a little racehorse in blinkers, only able to see and breathe and think one thing. There’s so much more to life than just chess.”

Das Buch ist aber besser als man an dieser schnulzigen Stelle hätte vermuten können, denn nach diesem scheinbaren Glückshöhepunkt folgt ein unerwarteter erneuter Einbruch, der, auch wenn er sich als nur vorübergehend entpuppt und am glücklichen Ende nichts ändert, dem Machwerk doch eine gewisse literarische Würde verleiht. Mitten im scheinbaren Glück beginnen die beiden unverbesserlichen Schachfanatiker eine Blindpartie, die Coffee das Rückgrat zu brechen droht: "Anger didn’t replace grief, it combined with it in a lacerating emotion that tore at her throat. …’ This was what I’ve been afraid of since the minute you set foot in this town. You’re ruining everything! Now will you please, please, please get out of our lives, and let me start picking up the pieces?’"

Es bedarf noch der Beinahe-Katastrophe und deren konzertierte Überwindung, um das Dilemma – das Spiel zu hassen, den Spieler zu lieben – zumindest aushalten, später auch – glücklich verheiratet, erneut schwanger, stolz auf den erfolgreichen Sohn – überwinden zu können. Am Ende wird sogar das Schach vom schrecklichen Verdacht entlastet, tödlich sein zu müssen. Richards vermuteter Selbstmord entzaubert sich als unglücklicher Unfall und hinter seiner leblosen Maske wurde das lebende Herz wenigstens postum sichtbar. Jeder bekommt – ein untrügliches Zeichen der Trivialliteratur – etwas ab vom großen Glückskuchen.

 

Doch enthebt dies das Schach der Verantwortung? - so muss man sich nach der Lektüre des Frauenromans fragen. Der Erzähllogik folgend muss die Antwort, trotz Friede-Freude-Eierkuchen, deutlich "Nein!" lauten, denn es hätte das Schach sein können, denn es liegt tatsächlich in der Macht des "mächtigen Spiels", wenn es denn in die falschen Finger und ungeeigneten Köpfe gerät, zu verderben und zu verwüsten. Dies thematisiert zu haben ist nicht das geringste Verdienst von Soapautorin Peggy Nicholson, deren Groschenroman "Checkmate" somit direkt an die vorderste Front der Schachbelletristik marschiert. Und über eines darf man sich bei diesen Trivialautoren gewiss sein: sie verstehen, ganz im Gegenteil zu den meisten schreibenden Schachspielern, ihr Handwerk.

Peggy Nicholson: Checkmate. Harlequine Romances 1993 (Mills&Boon. Richmond 1993). 187 Seiten

http://www.cora.de/cora/cora_cms.nsf/authors/CMSBDFC91AD3242ACF1C1256D4F003A9FA0?
OpenDocument&refDoc=autoren#bio

http://www.eharlequin.com/cms/authors/authorDetail.jhtml?authorID=392

 

--- Jörg Seidel, 06.01.2004 ---


[1] vgl. die Lesart Reuben Fines: Bobby Fischer's Conquest of the World's Chess Championship. New York 1973


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