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LITERATUR
4. November 2004

Peter Schweickhardt:
"Einsame Partien" und "Teufels Spiel"

Es ist wohl normal und nur allzu berechtigt, dass jemand, der ausgiebig in einer Bücherwelt lebt, früher oder später selbst sein Glück als Autor probiert. Auch Peter Schweickhardt konnte dieser Versuchung nicht widerstehen; seine Geschichten zeugen von einem genuinen und weiten Interesse an der Schönen Literatur. Vielleicht ist dieses Bedürfnis noch stärker am hinteren Ende des Lebensfadens, wenn sich unausweichlich die Fragen nach Sinn und Erfolg eines langen Berufs- und Familienlebens stellen. Schweickhardts Figuren sind – zumindest in seiner dreiteiligen Novellen-Sammlung "Einsame Partien" – Männer dieser Generation, sind melancholisch Rückblickende und zugleich Suchende: nach Zukunft und Bestand. Sie wären übrigens weniger gut genießbar, fehlte der gelegentlich heilsame sarkastische und selbstironische Humor, mit welchem sie ihr Leben augenzwinkernd betrachten. Dabei handelt es sich um ganz normale Menschen. Schweickhardt braucht keine Helden, um sich in Erzählstimmung zu bringen, ihm ist das Einfache und oft wohl Autobiographische – wie sich vermuten lässt – gut genug (deshalb handelt es sich wohl auch eher um Erzählungen denn Novellen im streng definitorischen Sinne). Sie wälzen die kleinen Konflikte des Alltags vor sich her. Vor allem deshalb kann der gemeine Leser genießen, nachfühlen, mitempfinden. Jedermann fühlt sich angesprochen bei der Vorstellung, die alte unaufgelöste Jugendliebe wiederzubeleben, weiß (oder kann sich mindest vorstellen), wie sich der Rückzug auf die moderne Robinson-Insel nach gescheiterter Ehe anfühlt oder was ein zunehmend vereinsamender Mann im Altersheim empfinden muss. Umgekehrt verzichten die Erzählungen auf eine breite Leserschaft, wenn extrem spezifische Probleme des Schachspielers ausführlich – bis in die konkreten Zugfolgen oder Wertungszahlsorgen hinein – thematisiert werden. (Des Schachfans Herz wird freilich höher schlagen, seine geheimste Frage ausgesprochen zu sehen: Wie gut wäre ich, wenn ich alle Energie ins Schach steckte, deren Antwort er vielleicht auch fürchtet, denn was wäre, wenn ich trotzdem nur mittelmäßig bliebe?) Da wird zum einen die Enge einer geschlossenen Gesellschaft aufgezeigt, zum anderen aber auch das enorme psychische Potential des Spiels aller Spiele. Schweickhardts Frohe Botschaft scheint zu sein: Es gibt immer einen Weg – "dass es immer Bewegung im Leben gebe" -, zumindest solange es das Schach gibt. Glücklich ist – auch im größten Ungemach – wer sich dessen versichern kann. Und folgerichtig stirbt Karl Schäufele, der am besten gelungene der drei Protagonisten, nachdem er, alterssenil, Springer und Läufer nicht mehr unterscheiden kann. Frei nach dem klassischen Stoiker ließe sich sagen: Auf die Frage, welchen Gewinn ihm das Schach gebracht hätte, antwortete Antisthenes: "Die Fähigkeit, mit mir selber zu verkehren". Man nimmt dem Autor selbst die Weisheitsgeste ab; sie basiert auf einer satten Lebenserfahrung.

Die Geschichten sind solide gearbeitet, mitunter etwas ehrgeizig konstruiert, ohne brillant zu sein; man findet gut und weniger gut gelungene Sätze, ohne je im Lesefluss ernsthaft beeinträchtigt zu werden.

 

Von ganz anderem Kaliber versucht der erst im vorigen Jahr erschienene "Roman in zwei Teilen" zu sein: "Teufels Spiel". Schweickhardt – sagen wir es frei von der Leber weg – übernimmt sich damit deutlich! Und das in fast jeder Hinsicht, sowohl kompositorisch als auch sprachlich und selbst die Idee des Romans ist misslungen – zumindest die beiden letzten Drittel. Der erste Abschnitt, der historische und auch schachbezogene, ist durchaus gut lesbar und hätte eine akzeptable Kurzgeschichte abgegeben. Man hat bereits Bücher ähnlicher Machart – lektoral freilich umfassend betreut – auf Bestsellerlisten gesehen. Ein paar historische Ungereimtheiten beseitigt, ein paar sprachliche Glättungen bereinigt, vor allem ein Ende zum rechten Zeitpunkt würde dem Rezensenten die unangenehme Pflicht erleichtern.

Das frühe Leben der Bodenseefischerin Marie Zauner, die das Schachzabelspiel so mag und so gut beherrscht, die deshalb die Aufmerksamkeit der Inquisition auf sich zieht, in die Zwickmühle der peinlichen Befragung gerät – wo man immer nur verlieren kann -, die schließlich unter Hexereiverdacht steht und dennoch befreit wird, das ist nicht schlecht gelungen, entfaltet ein ansprechendes, mit Lokalkolorit verziertes Bild der Zeit der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges und weist sogar die eine oder andere aufmerksame Beobachtung zum Schachspiel auf: "Dies erleichtert uns, die Grenze zwischen Zerstreuung und Besessenheit zu finden. Sie liegt dort, wo das Spiel nicht mit dem alleinigen Hilfsmittel des Gehirns, sondern mit Hilfe von Büchern gespielt wird" (39).

Mit der gesamten Fluchtgeschichte lässt die Spannung aber deutlich nach. Die Personen verlieren an Kontur, die Ereignisse überschlagen sich, wirken unglaubhaft, erwachsen nicht handlungsorganisch, die Handlung selbst gerät naiv oder konstruiert, sie wird zu bunt und aufgebläht, sie verlangt schließlich immer mehr störende erläuternde Eingriffe des Autors, Nebensätze und Einfügungen, um sie überhaupt nur als Gebilde zusammenzuhalten. Man hat den Eindruck als hätte ein anfängliches Konzept vorgelegen und dann – nach bewährter schwäbischer Art – "schaue mer mal". Spätestens als dann die Flusspiraten zum Kentern gebracht werden, wird das klar und zunehmend unerträglich; da stehen aber noch der Hochseesturm und die Indianer und all das bevor. Vielleicht rächt sich da Schweickhardts Belesenheit, vielleicht spukt ihm da noch zuviel Angelesenes im Kopfe herum. Das meiste klingt jedenfalls wie schlecht verdaute und zusammengemixte Lektüre, wie ein dünner Abguss von Karl May und J.F. Cooper, Mark Twain und Daniel Defoe, von Felix Dahn und Jack London, von Friedrich Gerstäcker und Wilhelm Meinhold…

Marie Zauner landet schließlich in Amerika, lehrt ihrem vorehelichen Sohn das Schachspiel, nennt sich Mary Fencer und stirbt "am 21. März 1685. An diesem Tag wurde Johann Sebastian Bach geboren" (101) – ach so.

Der zweite – zum Glück wesentlich kürzere Teil des Romans kümmert sich um ihre gleichnamige Nachfahrin oder Reinkarnation oder weiß der Teufel was. Die wiederum hat das Schach im Blut, spielt um die Weltmeisterschaft "beider Geschlechter". Sie ist noch immer im Besitz des verhängnisvollen Schachbuches der Marie Zauner, sie wird sogar deren "Neuerung" von 1618 oder so im Königsgambit erfolgreich anwenden. Weshalb sie auch noch Nymphomanin sein muss, die den erstbesten Zimmerkellner umlegt und sich die Brustwarzen deshalb mit Honig beträufelt, blieb mir verborgen und auch dass ihr Gegner niemand geringeres als der gleichnamige Abkomme Konrad von Baldurwegs ist – Vater des ersten Kindes der verblichenen Marie – will nicht recht überzeugen. Na klar, sie gewinnt – mit den Waffen einer Frau und begibt sich zurück zum Bodensee, wo alles vor vier Jahrhunderten begann. Soll das etwas bedeuten?

Peter Schweickhardt: Einsame Partien. Pfullingen 2001. 72 Seiten
Peter Schweickhardt: Teufels Spiel. Roman in zwei Teilen. Allitera Verlag 2003. 135 Seiten

 

 

--- Jörg Seidel, 04.11.2004 ---


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