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LITERATUR
2. August 2005

Murray Smith: The Devil's Juggler

Stellt man sich die Aufgabe, ein umfangreiches Archiv von Rezensionen über Schach-Literatur anzulegen, dann hat man durch die Wüste zu gehen, mit allen Entbehrungen, Täuschungen und Enttäuschungen, die solch ein Trip mit sich bringt, und nur seltenen, ganz seltenen Freuden. Denn neun von zehn Büchern, die das Schach im Titel oder Titelbild tragen, sind trocken wie Wüstensand, langweilig wie die Einöde, zum Verrecken karg. Irgendwann erscheint dann eine rettende Oase am Horizont, ein viel versprechendes, sattes, buntes Werk, aber auch dann handelt es sich meist nur um eine Fata Morgana, die in der Wüstenglut zerrinnt, je näher man ihr kommt, je aufmerksamer man sie betrachtet.

Und dann steht eines seligen Tages der erschöpfte Leser doch vor einer blühenden Insel, mit kräftigen Farben, schillernden Figuren wie Paradiesvögeln, mit sprudelnden Quellen köstlichen Nass’ und er soll diesen Fund verschweigen, nur weil sich doch kein Schach darin befindet, nur weil das Titelbild trog, soll er seine Freude für sich behalten, die genossene Köstlichkeit verheimlichen? Nein, das ist zuviel verlangt, so grausam kann niemand sein – man muß ihn diese Begeisterung verkünden lassen! Es bleibt ja trotzdem ein verdammt gutes Buch, überaus lesenswert, spannend und authentisch, Murray Smiths Erstling "The Devil’s Juggler", das den weißen Bauern auf dem schwarzen Spielfeld, Spritze und Patrone haltend, aus anderen als Schachgründen auf dem Umschlag trägt.

Wir beschweren uns auch nicht über die Irreführung, wir danken dem Designer vielmehr, dass er durch einen kleinen Trick uns diesen Thriller zur Aufmerksamkeit brachte. Und ein Thriller ist es, im wahrsten Sinne des Wortes, und damit nicht alles umsonst war, können wir sogar einen Schachsatz zitieren: "If her instinct was right, she suspected Jardine would be pleased the Columbian lawyer was still on the chessboard, free to play on, and be played against" (333). Außerdem, wenn das eine Rechtfertigung ist, sehen fast alle "major players” das Geschehen als "game", als Partie. Jardine, der Britische Sicherheitsoffizier, nicht anders als Restrepo und Envigado, die kolumbianischen Drogenbosse, Homicide Lieutenant Lucco aus New York ebenso wie Eugene Pearson, der nordirische Richter und Autorität im militärischen Flügel der IRA. Aus diesen vier Haupt- und vielen kleineren Nebensträngen wird eine überaus komplexe Geschichte gesponnen mit einem furiosen und vor allem realistischen Finale. Der Autor, selbst ein vormaliger "Special Force Officer", so wird uns versichert, hat lange Zeit in Kolumbien und Nordirland recherchiert, um sowohl die unbegreifliche Menschenverachtung der Drogenbosse, die mit empörender Gewalt vorgehen, deren ausgeklügeltes Informationsnetzwerk und die politisch-wirtschaftlichen Verflechtungen weltweit, überzeugend darzustellen, als auch den Hass der IRA-Leute auf die Briten und den ehrlichen Willen, die Heimat zu verteidigen. Was entstand, sind sehr realistische Figuren und keine Hollywoodhelden oder -bösewichter. Auch der brutalste Kartellboss zeigt menschliche Züge, auch der kühlste Cop ist erpressbar, auch der fanatischste Terrorist hat Gewissensprobleme und auch der fähigste Geheimdienstmann wird manchmal von seinem Unterleib geleitet. Man fragt sich als Leser immer wieder: Wie hättest du gehandelt? Hätte man der Bestechung widerstanden oder den Verführungskünsten, wäre man hart genug, die angedrohte Ermordung der Familie zu ignorieren, um der Sache zu dienen, kann man die moralischen Probleme des Fanatikers akzeptieren…? Das, und die zahlreichen Insiderinformationen machen die Geschichte um die unbekannte Tote in New York, den Versuch der IRA neue Geldquellen durch Drogenschmuggel zu erschließen, den Plan des Geheimdienstes einen Agenten in den inneren Zirkel der Kolumbianer einzuschleusen und deren europäische Expansionspläne so authentisch, glaubhaft und überaus lesenswert. Murray vereint das Beste aus Frederick Forsyth, John le Carré und Ed McBain, des einen hartnäckige Recherche, des anderen Ernsthaftigkeit und des dritten leichte Feder und Glaubhaftigkeit. Kurz: das muss einer der besten Thriller sein, die je geschrieben wurden.

 

 

--- Jörg Seidel, 02.08.2005 ---


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