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LITERATUR
16. Juli 2004

Jochen Wedegärtner: Sardisches Roulette


Dies ist ein Buch für alle Liebhaber Sardiniens. Wer die raue Trauminsel einmal mit offenen Augen betrat, dessen Fernweh wird selten an ihr vorbei können. Insbesondere der abwechslungsreiche Norden, die Costa Smeralda, das Gennargentu, die Barbagia, wo Armut und Reichtum, üppiges Leben und Dürre, jahrtausendealte Tradition und Moderne so malerische Kontraste abgeben [1], vor allem aber das Meer, das türkisblaue Meer…

Es ist auch ein Buch für die Freunde witziger und intelligenter Dialoge, deren Pointen oft so schnell sind, dass man besinnlich verharrt. "Von Psychologie verstehe ich gar nichts. Bloß von Menschen". Vermutlich zieht das Buch daraus seine größten literarischen Reize: "Es gab hier ohnehin bloß Spaghetti, sie würden ihn nur noch mehr verwirren".

Aber auch die Krimifans kommen auf ihre Kosten, denn wenn es auch nicht vor Spannung platzt, so gleitet der Lesefluss doch ungestört dahin und garantiert eine angenehme Urlaubslektüre.

Schließlich, wenn auch nur ganz am Rande, ist es auch ein Buch für Spieler jeglicher Couleur, nicht zuletzt für Schachspieler. Bellack, der abenteuergesinnte, millionenschwere Playboy, der sich selbst als Student bezeichnet, ist ein Spieler durch und durch und wenn er nicht leiblich am Spieltisch sitzt oder im sportlichen Wettkampf kämpft, so biegt er willentlich Lebens- in Spielsituationen um. "Er sagt: Ich bin im Spiel" – fast zu jeder Situation. Das Spiel ist eine verworrene Entführungsgeschichte, in der sardische Bräuche ebenso eine Rolle spielen wie Familienzwiste oder Kunstspekulationen.

Bellacks ausgesprochene Spielintelligenz ist bald mittendrin: "Sie war hochtrainiert auf Spiele: Schach, Bridge, was es auch sei, an ihr sollte es nicht scheitern". Sie zieht ihre Weisheit, ganz eklektisch, aus allem was zur Verfügung steht, Hauptsache, es lässt sich in Spielbegriffe übersetzen. Und als Bellack mit dem Entführer verhandelt – der im Übrigen doppeldeutig "Il Matto" heißt [2] – da offenbart er sich auch als schachversiert, wenn er des Verbrechers Strategie dolmetscht:

"Der will Sie schon vor der Verhandlung kleinkriegen. Das ist die eine Methode, die Position des Gegners zu schwächen. Die andere ist, ihm zu schmeicheln. Über das Thema sollte ich mal ein Buch schreiben."

"Es gibt schon welche darüber: Schachbücher. Diese Methoden sind Eröffnungen wie im Schach: Die schmeichlerische ist die italienische Eröffnung, die harte wäre die sardische."

"Gegen welche spielen Sie lieber?"

"Gegen die italienische Eröffnung bin ich machtlos."

"Im Schach?"

"Im Leben. Und die sardische Eröffnung gibt es leider nicht im Schach."

"Wieso ‚leider’?"

"Sonst hätte ich nachschlagen können, was Bobby Fischer dagegen gespielt hat."

Nun, das stimmt nicht ganz. Man kann durchaus von der sardischen Eröffnung sprechen, ebenso wie man vom sardischen Mittelspiel, in dem Bellack "Il Matto" und die seinen auch im spielerischen Zweikampf besiegt [3], und selbst vom sardischen Endspiel, durch dessen superbe Behandlung der Held mehr als nur die Partie gewinnt.

Fazit: Ein netter Roman, den besonders diejenigen genießen können, die die zärtliche Liebe zu Sardinien und zum Spiel teilen.

 

 

--- Jörg Seidel, 16.07.2004 ---


[1] Niemand hat das einfühlsamer beschrieben als die sardische Schriftstellerin Grazia Deledda, die 1926 den Literaturnobelpreis erhielt. Vielleicht muss man ihre Werke kennen, um Wedegärtners oft hart, übertrieben und antiquiert klingende Beschreibungen nachzuempfinden.
[2] "matto" bedeutet sowohl "verrückt" als auch "matt"
[3] In einer Szene, die allzu sehr an James Bond erinnert (208). Spätestens hier wird das heimliche Vorbild Wedegärtners sichtbar; es bestätigt sich an mehr als einer Passage.


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