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12. Februar 2003

Körperwelten -
Innenansichten des Schachspielers

Beim Gang ins Theater habe ich einer Dame nur allzu gern ins Dekolleté geschaut. Heute bin ich als Plastinator darüber erhaben! Es ist viel spannender, das Dekolleté von hinten zu betrachten.
Gunther von Hagens

 

Wenn am kommenden Sonntag sich die Tore der Ausstellung "Body World" in London schließen, dann wird ihr Kreator, Professor Gunther von Hagens, vermutlicht enttäuscht sein, denn die Resonanz in der englischen Metropole war überraschend gering. Gerade mal 400.000 Menschen werden die spektakulären Plastinate innerhalb der letzten sechs Monate gesehen haben – das sind im Tagesdurchschnitt weit weniger als in Mannheim, Oberhausen, Brüssel oder gar in Berlin, Köln und Japan, wo von Hagens auf ein Millionenpublikum verweisen kann. Das unübersehbare Desinteresse der englischen Öffentlichkeit ist mit Sicherheit nicht nur auf den abgelegenen Ausstellungsort oder eine ungenügende Werbung zurückzuführen; vermutlich viel mehr auf die typisch angelsächsische Indifferenz und Prüderie. Noch ist das viktorianische Erbe zu dominant, als dass man im körperfeindlichen Albion eine Schau mit dem angsteinflössenden Titel "Körperwelten" und noch schreckhafteren hautentblößten Körperexponaten begrüßen, geschweige denn diskutieren würde. In der Tat blieb selbst das Medieninteresse zurückhaltend.
(So lauteten die Eingangszeilen für diesen Artikel, der vor einem halben Jahr erscheinen sollte. Inzwischen wurde die Ausstellung zweimal verlängert, sechs neue spektakuläre Präparate wurden installiert, serienweise Schulklassen aus ganz Großbritannien nach London gekarrt und schließlich sogar eine vom Fernsehen übertragene öffentliche Obduktion einer plastinierten Leiche vorgenommen. Einmal mehr hat Professor von Hagens bewiesen, dass er ein Mann der Tat ist, der so einfach nicht aufgibt, für den es eine Niederlage nicht geben kann. Die tägliche Besucherzahl hat sich – laut eigenen Angaben - fast verdoppelt in den vergangenen vier Monaten. Über 840.000 Menschen haben die Ausstellung gesehen.)

 

Ganz anders – ebenfalls mentalitätsbedingt – war die Aufnahme in Deutschland, wo "Körperwelten" nicht nur zur zahlenmäßig erfolgreichsten Ausstellung aller Zeiten, sondern gesamtgesellschaftlich intensiv, wenn auch selten objektiv, diskutiert wurde. Und ganz gleich, wie man dazu steht: die Brisanz der Exponate und damit ihre Rechtfertigung ergibt sich schon daraus, dass sie alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche zu polarisieren vermochte und zum diskursübergreifenden Streit animierte. Moralphilosophen- und Theologen, Juristen, Mediziner, Anatomen, Kulturhistoriker, sie alle beteiligten sich an dieser Diskussion, weil "Körperwelten" Aspekte jedes einzelnen Faches ausdrücklich berührte. Den peinlichen Höhepunkt einer oft noch fehlenden demokratischen Diskussionskultur über Tabuthemen, stellt das an Lächerlichkeit grenzende Verbot der Körperweltenausstellung in München dar! (vgl. http://pro-koerperwelten.de/ und http://www.sueddeutsche.de/index.php?url=/muenchen/ imzentrum/61099&datei=index.php)

Auch Schachspieler dürfen sich in diese illustre Reihe von Interessenten aus mindestens zweierlei Gründen einordnen: hinsichtlich des vielleicht bekanntesten Präparates "Der Schachspieler" (auch: "Der Denker") und hinsichtlich seines Schöpfers, Gunther von Hagens.

In der wohlüberlegten Ausstellungschoreographie begegnet der Betrachter dem "Schachspieler" als einem der ersten Ganzkörperplastinate, was ihn als vergleichsweise unspektakulär ausweist. Nicht nur will die Exposition den Besucher einer inneren Dramaturgie gemäß sanft heranführen um unnötige Schockerlebnisse zu vermeiden – Ohnmachtsanfälle sollen keine Seltenheit sein -, sondern von Hagens und seine Lebensgefährtin Dr. med. Angelina Whalley, die sich für die inhaltliche Konzeption verantwortlich zeichnet, scheinen sehr wohl den Abstumpfungseffekt einzurechnen, der sich beim Betrachter zwangsläufig einstellt. Möglicherweise mag der Effekt auch für das mangelnde Interesse der Londoner mitverantwortlich sein. Menschen, die schon fast alles gesehen haben, für die Kunst stets nur Wiederholung sein kann, die fast alles gewohnt sind, die auch lernen mussten, dass nur stoische Ruhe und Gefühlsresistenz das Großstadtleben ermöglichen, lassen sich von plastinierten Leichnamen, selbst wenn diese spektakulär dargeboten werden, nicht zwangsläufig skandalisieren. Nicht umsonst entwickelt der Plastinator immer abstrusere Ideen: dem Pferd mit Reiter soll bald ein Kamel folgen und selbst ein Elefantenplastinat ist geplant; die mäßig erfolgreiche Londoner Ausstellung wurde kürzlich mit sechs neuen und bislang noch nie gesehenen, auffällig provozierenden Ganzkörperexponaten zusatzbestückt usw. Der Plastinator hat die Terminator-Logik des Blicks begriffen.

http://www.koerperwelten.com/

Die ruhige, sitzende Geste des "Schachspielers" wirkt da eher schon langweilig, eignet sich aber umso mehr, die vielfach betonte Intention der Aufklärung glaubhaft zu machen. An ihr lässt sich noch verhältnismäßig einfach nachvollziehen, wie Pose und Lehrinhalt einander entsprechen sollen. Man kann selbst bei den "gewagteren" Kompositionen (z.B. Läufer, Hautmann, liegende Schwangere) ohnehin nicht umhin, die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Pose für schlüssig zu halten, wenn man dem Fachkommentar des Präparators folgt. Es gelingt von Hagens nahezu immer, die gewählte ästhetische Aussage funktionalistisch zu legitimieren. Selbst an solch offensichtlich künstlerisch epigonalen Präperaten wie dem "Schubladenmann" oder dem "Läufer". Bewusst sachlich ist denn auch der Kommentar zum Exponat "Der Schachspieler":

"This posed plastinate was given the posture of a pensive person. It illustrates representively how nerve fibres run through the entire human organism". (Sichttafel).

"Dieses Plastinat zeigt einen Denker – sitzend, konzentriert, beobachtend. Die Pose eines Schachspielers wurde bewusst gewählt, weil vor allem Gehirn, Rückenmark und Nerven gezeigt werden sollen, Organe also, die wesentlich sind für das Denken und die Wahrnehmung. Die Pose soll die anatomische Präparation inhaltlich unterstreichen." (Audio Guide).

"Diesem Gestaltplastinat haben wir die Position eines denkenden Schachspielers gegeben, denn es veranschaulicht repräsentativ, wie der menschliche Organismus innerviert ist. Die Pose soll den besonderen Charakter des Plastinats unterstreichen, seine anatomische Identität. Der ästhetische Eindruck der dadurch entsteht, ist durchaus beabsichtigt, denn das Ergebnis der Plastination soll Verstand und Gefühl gleichermaßen ansprechen, also Wissen vermitteln und das Bewusstsein für die Natur in uns wecken" [1].

Die Sachlichkeit ist notwendig, da die Ästhetisierung der Wissenschaftlichkeit und der anatomischen Nützlichkeit aus primär moralischen Gründen zu widersprechen scheint. Sie wird im Nachhinein noch konkretisiert, indem Aufbau und Funktion der Bestandteile des Wahrnehmungsapparates (Gehirn, Rückenmark, periphere Nerven, Sakralnerven, Ischiasnerv, Gehirnnerven, nervus trigenimus usw.) erläutert werden.

Gunther von Hagens sieht darin allerdings, auch wenn er seinen Anatomenstatus wiederholt betont und sich ausdrücklich nicht als Künstler, Interpret oder Philosoph betrachtet, eine metaphysische Dimension. "Zur Bewegungsillusion tritt die Funktionsvorstellung. Wenn das Plastinat "Schach spielt" oder "reitet", wird der Tod in nahezu humoristischer Weise an das Leben herangeführt" [2]. Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht (vgl. Warum man über tote Körper lachen darf. http://www.koerperwelten.com/de/neue_plast.htm).

Anatomie als Plastination wird so gesehen in doppeltem Sinne lebensweltlich relevant: Sie verlebendigt die anatomisierte Leiche, präsentiert sie in lebensnaher Position und macht damit nicht nur deren Authentizität deutlich, sondern erinnert den Betrachter im Umkehrschluss auch daran, dass der Mensch ein "Madensack" ist; sie wird zudem als Wissenschaft belebt und verlebendigt, die sich aus den abgesonderten und geheimnisumwitterten, immer ein bisschen unheimlichen Anatomie- und Obduktionssälen endlich allen Lebenden darbietet, um sich sichtbar selbstbewusst in deren Dienst zu stellen.

"Wenn uns die Anatomie des Lebenden interessiert, sollte sie in einer Umgebung vermittelt werden, in der sich der Besucher vertraut und wohlfühlt. Wie die Künstler der Renaissance ihre anatomischen Figuren in lebendige, mit Pflanzen und Tieren geschmückte Landschaften stellten, so stelle ich die Gestaltplastinate in die lebendige Welt zurück, aus der sie kamen. Das in der Pose eines Schachspielers gezeigte Gestaltplastinat erhält ein Schachbrett, das des Fechters ein Florett…" [3].

Insofern stellt das Gestaltplastinat ein philosophisches Argument per se dar. Als anatomisches Präparat scheint das Ganzkörperplastinat genauso umstritten zu sein wie in jeder anderen Hinsicht. Die einen meinen, es sei wissenschaftlich wertlos und können vielleicht zu Recht auf Wachspräparate, anatomische Atlanten, Röntgenbilder oder virtuelle 3D Körperansichten verweisen, für die anderen ist es die anatomische Revolution schlechthin. Zumindest die Scheibenplastinate und die sogenannten "expandierenden Körper" eröffnen m.E. vollkommen neue Sichtweisen des Körpers. Wilhelm Kriz, Anatomieprofessor aus Heidelberg, weiß den Laien jedenfalls mit folgendem Urteil zu überzeugen:

" … Deshalb möchte ich die Ursachen für die Attraktivität von Ganzkörper-Plastinaten an einem konkreten Beispiel erörtern, an dem sogenannten Schachspieler oder Denker.
Dabei handelt es sich um einen Körper in sitzender Haltung, an dem das Rückenmark und die peripheren Nerven in allen Details zu erkennen sind. Von mehreren Fachkollegen habe ich das Urteil gehört, dies sei das beste Präparat der Rückenmarksnerven, das sie je gesehen hätten. Ein solches Plastinat offenbart also zunächst Präparationskunst, handwerkliches Können in Perfektion" [4].

Selbst dem anatomischen Laien, der vor dem Präparat steht, ist das unmittelbar einsichtig. Bilder sind hier die besten Argumente.

Quelle: Prof. Gunther von Hagens' Körperwelten. Fascination beneath the surface. Heidelberg 2002.

Für viele Besucher sind die Plastinate als Zitate problematisch: Dalì, Boccione, Marini, Vesalius, Leonardo, Michelangelo, Fragonard, Rodin sind nur einige Namen, die in diesem Zusammenhang genannt werden. Dass von Hagens kunsthistorische Unwissenheit gegen eine bewusste Anlehnung sprechen soll, wie der ansonsten großartige Bazon Brock behauptete, ist eher als Kuriosum zu begreifen [5].

Auch der Schachspieler zitiert aus der Kunstgeschichte: Rodins Denker kommt in den Sinn, Caraccis Schachspieler, der Automaton (immerhin der erste Versuch, ins Innere des Spielers blicken zu lassen), vor allem aber Assoziationen zur mittelalterlichen Allegorie vom schachspielenden Tod werden geweckt. Der Tod wurde seit je als Skelett oder/und Enthäuteter dargestellt. Beide Komponenten sind beim Schachspieler sichtbar. Die Evokation der Sterblichkeit ist vor diesem Hintergrund nirgendwo deutlicher herausgearbeitet, als beim Schachspieler. "Sobald der Mensch geboren, ist er alt genug zu sterben", wie der böhmische Ackersmann zu sagen wusste.

Schach matt heißt: Tod dem König. Die mittelalterlichen Allegorien zeigen zumeist eine Königsgestalt mit dem Tode spielen und wollen damit die Sterblichkeit eines jeden sichtbar machen. Der König repräsentiert jedermann, er ist "Jedermann". Gunther von Hagens' Schachspieler ist Irgendjemand, ein einst lebender Mensch, wie du und ich, nun namenlos, identitätslos, nun tot und doch noch unter uns. Indem er der ungewöhnliche Tote ist (nämlich noch anwesend), symbolisiert er die Gewöhnlichkeit des Todes.

 

Doch über den toten Körper hinaus gibt es beim Schachspieler eine zweite wesentliche Komponente: das Schachspiel. Es verbietet sich selbstredend, die aktuelle Stellung auf dem Brett zum Analysethema zu machen, nicht nur, weil sie – wie nicht anders zu erwarten – sinnlos ist (beide Könige stehen im Schach), oder weil sie ständig durch respektlose Passanten verändert werden könnte (tatsächlich fehlte in London ein Turm), sondern weil sie schlicht und einfach akzidentiell bleibt und auch bleiben muss. Einen sinntragenden Status darf man ihr in diesem Zusammenhang nicht zurechnen.

Die Willkürlichkeit und Änderbarkeit der Schachpartie ist sogar Teil der garantierten Anonymität, eben doch der Würde [6] des Körperspenders, insofern es Stil und Charakter im Schach gibt (anders wäre dies z.B., hätte das Plastinat Dame gespielt). Sie hängt offensichtlich nicht mit ungenügender Kenntnis des Plastinators zusammen.

 

Untersuchenswert hingegen ist das Verhältnis Gunther von Hagens zum Schach.
Viel ist über seine Person geschrieben worden, leider oft in polemischem Ton. Sein mephistophelisches Auftreten, der Beuys-Hut, die nonkonformistische Kleiderordnung, die brutale Ehrlichkeit, seine unglaubliche Beharrlichkeit und natürlich die provokanten Plastinate gaben schlechtgesinnten Schreibern immer wieder jede Menge Angriffspunkte. Doch von Hagens scheint vollkommen darüber erhaben zu sein, auch wenn er offensichtlich mit dem Klischee des verrückten Professors werbewirksam spielt; für ihn gibt es nur eines: Plastination. Sein gesamtes Denken hat er auf dieses von ihm 1977 erstmals entdecktem und seither wesentlich weiterentwickeltem Verfahren ausgerichtet und mit schier übermenschlicher Energie verfolgt er seine ehrgeizigen Ziele. Ein Satz wie dieser spricht Bände: "Wenn ich am Tag sechs Stunden mehr arbeite als andere, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Erfolg einstellt" [7]. Menschen in seiner Umgegend sind vom Charisma überwältigt, oft fällt das Wort "Genie" (das hier mehr als anderswo die Wahrheit bestätigt, dass Genie 90 % Transpiration und 10 % Inspiration sei).

Quelle: Prof. Gunther von Hagens' Körperwelten. Fascination beneath the surface. Heidelberg 2002.

Sie scheinen ihm alles zuzutrauen, nicht zuletzt die Schachmeisterschaft. "Schach hat er gespielt bis zur Meisterschaft", entsinnt sich denn der ebenfalls asketische Vater. Und Kleinschmidt/Wagner, zwei Journalisten, die ein Buch über Hagens veröffentlichten, sekundieren, indem sie ihn als "Super-Schachspieler" (325) bezeichnen. Von Hagens selbst kolportiert diese Geschichte und erzählt, dass er die dreiwöchige Zeit im Einzelarrest – er wurde in der DDR wegen versuchter Republikflucht zu 21 Monaten Haft verurteilt und vorzeitig freigekauft – "neben dem Auswendiglernen (von Vokabeln) mit sich im Geist ein wenig Schach gespielt" habe: "ich habe mich sehr wohl gefühlt!". Damals hieß er noch Gunther Liebchen; auch dies war ein cleverer Schachzug in der Konstruktion seiner selbst, den Namen der ersten Frau – von Hagens – beibehalten zu haben.

Was aber ist nun dran an diesem Gerücht des "Super-Schachspielers" und was muss man darunter verstehen? Es ist mir leider nicht gelungen, eine Partie eines Gunther Liebchen aus Greiz (!), der 1965 nach Gera (!) studieren ging, aufzutreiben, aber es müsste doch ein Wunder sein, wenn ausgerechnet in vogtländischen und ostthüringischen Schachkreisen sich niemand an diesen offenbar begabten Spieler erinnern könnte.

 

Literatur:
Kleinschmidt, Nina/Wagner, Henri: Endlich unsterblich? Gunther von Hagens – Schöpfer der Körperwelten. Bergisch Gladbach 2000
Prof. Gunther von Hagens’ Körperwelten. Die Faszination des Echten. Der Katalog zur Ausstellung (London). Heidelberg 2001
Prof. Gunther von Hagens’ Körperwelten. Fascination beneath the surface. Heidelberg 2002. DVD
Prof. Gunther von Hagens’ Körperwelten. Fascination beneath the surface. A guide to the exhibition. Heidelberg 2001
Wetz, Franz Josef: Die Würde des Menschen ist antastbar. Eine Provokation. Stuttgart 1998
Wetz, Franz Josef/Tag, Brigitte (Hg.): Schöne neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung. Stuttgart 2001
http://www.koerperwelten.com/de/gvh.htm
http://www.channel4.com/science/microsites/A/anatomists/hagens1.html
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,222855,00.html

 

 

--- Jörg Seidel, 12.02.2003 ---


Anmerkung:

Email von Gunther von Hagens vom 28.6.2009 (Auszug), in der der Plastinator selbst freigiebig und offen zu den gestellten Fragen antwortet und deren Veröffentlichung er freundlicherweise zustimmte:

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel im Internet mit dem Titel "Körperwelten - Innenansichten des Schachspielers" gelesen. Vielen Dank für die Komplimente. Gern möchte ich Ihnen einige Informationen zu Ihrer im Artikel aufgeworfenen Frage geben: "Was aber ist nun dran an diesem Gerücht des "Super-Schachspielers" und was muss man darunter verstehen?" Ich habe als Schüler Schach gespielt beim Schachclub "Lokomotive Greiz". Das war in den Jahren 1954 – 1958/59, also als Schüler im Alter von 9 – 13/14 Jahren (geboren 1945). Ich spielte damals in der Schülermannschaft der Goetheschule Greiz. Mein Schachlehrer war unser Physiklehrer, Herr Meyer, der unerwartet in den Westen flüchtete. Danach habe ich das Schachspielen aufgegeben und mit Gesellschaftstanz … (Tanzclub Schwarz-Weiß der VEB Papierfabrik) begonnen, in der ich mich zwischen 14 und 18 Jahren bis in die D-Klasse, die unterste Klasse des Turniertanzes empor arbeitete. … Die dort gelernte Körperästhetik jedenfalls ist mir bei der Positionierung von Plastinaten unverzichtbar.

Doch zurück zum Schach: Ich habe zusammen gespielt mit meinem Klassenkameraden Reinhard Postler. … Ich will nicht sagen, dass ich ein großer Schachspieler war. Reinhard Postler war deutlich besser als ich. … Doch immerhin habe ich es in der Schülermannschaft, wenn auch am vorletzten Brett, zum DDR-Meister gebracht. Bei den Kreismeisterschaften in Greiz brachte ich es zum Kreismeister im Blitzschach. Auch habe ich damals so viele Schachbücher studiert und auch die eigenen Partien kommentiert, dass ich schließlich blind spielen konnte. Im Gefängnis in Gera und Cottbus habe ich dann mehrfach Blindpartien gegen mich selbst gespielt. Auch heute gewinne ich üblicherweise immer noch gegen Feld-Wald-und-Wiesen-Schachspieler …

Ich glaube, dass meine Umgebung, insbesondere meine Familie und hier insbesondere mein Vater, mehr von meinen Schachkünsten überzeugt war als ich selbst. Nun hatte mir mein Vater mit 6 Jahren Schach beigebracht und er hat sich dann gewundert, dass ich bald stets gegen ihn gewann. …

Ach ja, der Schachclub Plauen ist mir gut bekannt, weil wir einmal zu einem Mannschaftsfreundschaftsspiel eingeladen waren. Ich erinnere mich aber nur noch, dass wir, wenn auch knapp gewannen.

Sicher ist, dass es das Plastinat des Schachspielers ohne meine "Schachkarriere" nicht geben würde.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich als Ihr

Gunther von Hagens


[1] DVD Prof. Gunther von Hagens' Körperwelten. Fascination beneath the surface. Heidelberg 2002. Kapitel 4
[2] Gunther von Hagens: Gruselleichen, Gestaltplastinate und Bestattungszwang. In: Franz Josef Wetz/Brigitte Tag (Hg.): Schöne neue Körperwelten. Der Streit um die Ausstellung. Stuttgart 2001. S. 45
[3] ebd. S. 55
[4] Prof. Dr. med. Wilhelm Kriz: Vorwort zum Ausstellungskatalog. Heidelberg 2001. S. 6
[5] Bazon Brock: Der gestaltete Körper. In: Wetz/Tag. S. 277; Josef Wetz nimmt dieses unsinnige Argument ebenfalls auf, etwa in: Die Würde des Menschen. Ausstellungskatalog S. 251
[6] vgl. Wetz, Franz Josef: Die Würde des Menschen ist antastbar. Eine Provokation. Stuttgart 1998
[7] Kleinschmidt/Wagner: Endlich unsterblich? S. 66


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