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Rückenmark und Geistesmenschen
The other side of Plauen's
chess
Ein Fußballer, ob mit dem Fuß
oder nur mit dem Herzen, würde naturgemäß
das Bruno-Plache-Stadion keinesfalls verfehlen, schon
gar nicht an jenem Sonntag des 12. Oktober, als die
Frauenmannschaft des VfB Leipzig in der Regionalliga
den Bundesligaabsteiger Tennis Borrusia Berlin empfing.
Die Auswärtspartie beim Tabellenführer
sollte von Beginn an eine ganz spannende Sache werden.
Spannend, weil es spielerisch ganz knapp wurde, spannend,
da die Anreise alles andere als spielerisch war und
schließlich spannend, nachdem der VfB Leipzig
zum Saisonauftakt beim VSC Plauen mit ½:7½
gewütet hatte, spielerisch - die Mission der Könige
also darin bestand, den Messestädtern einen facettenreicheren
Blick vom Plauener Schach zu gewähren.
Der Absteiger aus der Schach-Oberliga,
noch auf der Suche zwischen neuer Standortbestimmung
und Zielfindung in der Sachsenliga, kam bereits während
der Fahrt zum Spiellokal in Zeitnot, verursacht durch
ganz erstaunliche Irrfahrten, obwohl das Führungsfahrzeug
in zweiter Reihe nicht müde wurde, die Richtung
vorzugeben, sich an Bord mit Stadtplan sicher wähnte,
diesen zu befragen, sich allerdings nicht traute, weil
es dafür einer Sehhilfe bedurft hätte, an
die man nun wirklich nicht gedacht hatte. (Um auf einer
einsamen Insel zu überleben, sollte man sich vor
DWZ über 2000 schützen.) Nach einer halben
Stunde Verspätung wurde die Partie abseits des
grünen Rasens angepfiffen, die Gastgeber gewährten
ein faires akademisches Viertel.
Das Match begann hoffnungsvoll mit einer
zeitigen Führung der Plauener. Roland Pfretzschner
hatte sich am Spitzenbrett eine strategisch vorteilhafte
Position erspielt, in der sich sein Gegner zunehmend
ideen- und willenlos ergab. Aber die Leipziger schlugen
ebenso schnell wie kraftvoll zurück. Marco Schaarschmidt
unterschätzte ein strategisches Opfer, hatte zwar
zwei Leichtfiguren gegen Turm und Bauern bekommen, konnte
aber sein empfindlich gestörtes Figurenspiel nicht
mehr koordinieren. Thomas Espig, der bei seinem Debüt
gegen die USG Chemnitz II schon spritziges Schach demonstriert
hatte, zeigte auch mit den schwarzen Steinen offensive,
spielfreudige Züge. Dieses Mal wählte er eine
sizilianische Variante, die Wladimir Epischin mitunter
bevorzugen soll. Es brannte frühzeitig auf beiden
Flügeln, doch die überaktive Entwicklung erwies
sich später als zu nachlässig, eben doch ein
bisschen anders als bei Epischin. Nachdem Mathias Paul
in guter Stellung überraschend vor dem Kontrollzug
die Zeit überschritt, lagen die Könige plötzlich
bedrohlich 3:1 zurück.
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Immer
stärker:
Lion Pfeufer
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Erst Andreas Götz vermochte die
Schwächephase der Plauener zu beenden. Unmittelbar
nach dem Friedensangebot seines Gegners setzte er zu
einem gnadenlosen Abzugsschach auf h7 an, gewann zunächst
die Dame für Turm und Läufer, bevor er wenig
später noch eine Leichtfigur vom Brett nahm. "Ganz
billig", wie Andreas Götz nach der Partie
resümierte. Größere Anstrengungen musste
da schon Lion Pfeufer unternehmen, um zum vollen Punkt
zu gelangen. Nachdem er im Mittelspiel gegen Robert
Beltz eine Qualität erbeutet hatte, bedurfte es
im Endspiel noch präziser Gewinnführung. Ausgleich
zum 3:3. Dennoch hatte das Plauener Team nur geringe
Remischancen: Christof Beyer hatte an Brett 8 schon
die ganze Partie über eine Druckstellung auszuhalten,
musste materielle Verluste hinnehmen, das Doppel-Turm-Endspiel
plus Läufer mit einem Nachteil von drei Bauern
neigte sich spürbar der Kapitulation, während
Matthias Hörr sich aufrieb, seine Mehrqualität
siegreich zu verwerten, aber scheinbar keine erkennbare
Gewinnfortsetzung im Figurendschungel fand. So liebäugelten
die Gastgeber nicht unberechtigt immer mehr mit einem
4½:3½-Erfolg.
Inzwischen hatte auch das Spiel auf dem
grünen Rasen begonnen. Lautstark, die vorwiegend
männlichen Besucher, allerfeinster Fanblock, das
Rückenmark regierte. Draußen wurde brüllend
getobt, als würde man in der Arena nach den Löwen
verlangen. Daumen nach unten für Leipzigs Fußballfrauen
an diesem Sonntagnachmittag, zwischendurch dann doch
so etwas wie barmherziger Applaus, wahrscheinlich für
den Ehrentreffer. Ein paar der Besucher (die Grundgesetzbefürworter
unter ihnen waren nicht in der Mehrheit) verirrten sich,
wenn auch nur kurz, denn der Biertresen im Spiellokal
hatte (vorsorglich) nicht geöffnet, zum spannenden
Geschehen der Schachabteilung des VfB Leipzig ...
Christof Beyer war inzwischen mit seinen
beiden Türmen auf der dritten Reihe eingedrungen,
öffnete mit dem h-Bauern die weiße Königsstellung,
so dass der Drei-Bauern-Malus plötzlich keine Rolle
mehr spielte - Dauerschach in den rettenden Remishafen.
Ein matchentscheidendes Geschenk von Thomas Schreiter
an seinen früheren Verein. Die letzte laufende
Partie an Brett vier wurde stumm-aufgeregt umlagert,
bis Matthias Hörr abgeklärt zum finalen Gewinnschlag
ausholte.
VfB Leipzig
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SK König Plauen
II
|
3½
|
:
|
4½
|
Müller,
Frank |
2200
|
|
FM
Pfretzschner, R. |
2163
|
0
|
:
|
1
|
Geiling,
Christian |
2143
|
|
Espig,
Thomas |
2248
|
1
|
:
|
0
|
Kalkhof,
Stefan |
2156
|
|
Paul,
Mathias |
2140
|
1
|
:
|
0
|
Claus,
Thomas |
2060
|
|
Hörr,
Matthias |
1940
|
0
|
:
|
1
|
Beltz,
Robert |
2167
|
|
Pfeufer,
Lion |
1936
|
0
|
:
|
1
|
Dr.
Scholz, Markus |
2085
|
|
Schaarschmidt,
Marco |
2066
|
1
|
:
|
0
|
Mader,
Jörg |
2031
|
|
Götz,
Andreas |
2054
|
0
|
:
|
1
|
Schreiter,
Thomas |
2027
|
|
Beyer,
Christof |
1959
|
½
|
:
|
½
|
Ein starker Tag für die beiden Plauener
Nachwuchsspieler Hörr und Pfeufer, ein glücklicher
4½:3½-Sieg am Ende für den SK König
Plauen II, der keinen Grund hatte, an diesem Wochenende
nach den Löwen zu verlangen.
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