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SACHSENLIGA – Saison 2003/2004
 

"Der Jugend wird oft der Vorwurf gemacht, sie glaube, dass die Welt mit ihr erst anfange. Aber das Alter glaubt noch öfter, dass mit ihm die Welt aufhöre."

(Christian Friedrich Hebbel, Festschrift "100 Jahre Bahn-Sozialwerk")

Disko in der Villa Bergstraße
Jugendalter und Altersjugend im Sozialwerk der Generationen

Vor dreizehn Monaten unterlag der SK König Plauen in einer beiderseitigen Auswärtspartie in Chemnitz dem BSW Dresden mit 2:6. Danach verließen beide Mannschaften die Oberliga, Staffel Ost. Die Plauener hatten für eine Saison das Siegen verlernt, lernten dafür die Verabschiedung, den Abstieg mit miniaturisiertem Brettpunktekonto, vier Remis in jener finalen Oberligabegegnung, zwei an den ersten beiden Brettern, zwei an den letzten beiden, kein Sieg also in einer einzigen Partie, bevor die Könige, weit entfernt von ihrer Bestbesetzung, dieses Mal mit sechs Ersatzspielern, also ohne ihre ersten sechs Bretter, daher mit durchschnittlich 135 DWZ-Punkten pro Brett niedriger bewertet, die dunkel marmorierte Wendeltreppe in der Villa Bergstraße hinaufstiegen, als ob sich der Anfang eines neuen Endes bereits ausgebreitet hatte. "Aber hinten sind wir stärker", erklärte Peter Luban ungefähr zwei Tage vorher. DWZ - nur ein Richtwert, ein unsicheres statistisches Pendel zwischen Jugendalter und Altersjugend? Drei nach neun, eine Gästebegrüßung mit dem Gastgeberhinweis, dass die Schachuhren schon laufen würden, demnach kein akademisches Viertel beim Bahn-Sozialwerk, obwohl die Villa Bergstraße zwischen Fachhochschule und Universität eingebettet ist. (So ein Glück hat ja ein Jeder: Der Gast hat ein Glück, wenn der Gastgeber keine einstündige Eröffnungsrede vorbereitet hat, für den Fall, dass die Gäste drei Minuten später über die Wendeltreppe eintreffen, während die Zeit schon ihre Geräusche macht.)

Die Neuauflage des Vorjahresmatches begann rustikal. MCO Schaarschmidt stand bereits nach zwölf Zügen einzügig auf Matt. Er hatte eine nicht häufig gespielte Variante im Benoni vorbereitet, in der jedoch noch viel seltener die kurze Rochade nicht gemacht wird. Folglich stand sein König noch arglos auf dem Grundstellungsfeld, unmittelbar links benachbart dessen Wachturm, der von der weißen Dame auf g7 und dem Läufer auf h6 undeckbar befragt wurde, mit Unterstützung des d6-Bauern, der sich in dieser Zugfolge zusätzlich als weißer Keil ins Bewusstsein prägte. Dunkler Marmor kam über die schwarze Stellung, nachdem sich der weiße König der Dauerschachattacke über die Brettmitte an den Brettrand entzog. Aber nur kurze Zeit später glich Lion Pfeufer am Spitzenbrett überraschend aus, der sich zuvor in positioneller Sackgasse befand, jedoch ein grobes Versehen seines Gegners sofort zum Partiegewinn ausnutzte - zudem noch von ihm lernen konnte, dass Silberhochzeit am Vorabend ein vernichtender Grund sein kann, wenn es einmal nicht wie am Schnürchen läuft, obwohl man doch schon so 'was von auf Gewinn stand, alles so einfach schien, dass selbst Günther-Jauch-Kandidaten, die sonst schon bei der ersten Frage alle drei Joker in Anspruch nehmen müssen, ganz leicht darauf gekommen wären, jedenfalls im höheren Sinne. Der volle Punkt zum sofortigen Ausgleich krönte zumindest Pfeufers starke Saisonleistung an den vorderen Brettern.

Nach dem Unentschieden von Christian Hörr in geschlossener Stellung lief die Zeit der Stille ab, denn als die beiden Schwarzpartien von Daniel Butzke und Frank Gerbeth nach Materialverlust hintereinander zusammenbrachen, gerieten die Plauener erneut unter Druck. Doch selbst dieser Zwei-Punkte-Rückstand wurde noch einmal aufgeholt, durch Siege von Christof Beyer und Peter Luban, der Günter Kokschs Brechstangengewinnversuche in der Zeitnot kurz vor dem Kontrollzug kunstvoll auskonterte, beide Arme kraftvoll zum Sieg emporstreckte, er es ja bereits geweissagt hatte, eben hinten stärker zu sein, und fast wäre sie ausschlaggebend gewesen, diese hintere Stärke, da plötzlich ein Mannschaftserfolg, wenigstens ein Unentschieden erreichbar erschien.

Aber es war eine komplizierte Stellung in der letzten noch laufenden Partie, der sich Andreas Götz gegen Altmeister Jahja Eskandary zu erwähren hatte, immer auf der Suche nach Kompensation für den in der Eröffnung geopferten Bauern, zwischendurch immer wieder diese unruhigen Geräusche des Herumklapperns, verursacht von Schachfiguren beendeter Partien, die sich auf ihrem Weg vom Schachbrett in den heimischen Figurenkasten befanden. Figurengeräusche im Technosound, die nur jene nicht beeindrucken können, die entweder zu häufig in die Disko gegangen waren oder die über die Gabe der stillen Dominanz verfügen, gar die Ruhe Eskandarys zu zelebrieren, in der Lage sind, auch wenn, nur wenige Zentimeter vom Geschehen entfernt, der Geräuschterror tobte, sich Figuren in autistischer Manie unablässig in den Figurenkasten drängten, bevor der Deckel in einer Lautstärke zuschlug, als ob an der gegenüberliegenden Wand mit dem Vorschlaghammer ein Sargnagel der Vorfreude versenkt würde. Eskandary behielt seinen Vorteil auch nach der Zeitnot, baute ihn schließlich genüsslich bis zum Matt aus, hin und wieder eine erhabene, geräuschlose Bewegung, danach ewige Ruhe.

Es hatte nicht gereicht, dieses Mal hinten besser gewesen zu sein, aber trotz der 3½:4½-Niederlage Plauens verbleiben beide Teams in der Sachsenliga, mit 8:10 Mannschaftspunkten in der grauen Masse der Mittelmäßigkeit. Und wenn auch Andreas Götz diese Partie nach verzweifelter Gegenwehr verloren hatte, so kann er sich immerhin mit dem besten Einzelergebnis innerhalb seiner Mannschaft trösten, die Wendeltreppe nach der Partie abwärts gehend. Der dunkle Marmor strahlte freundlich zurück. Es konnte ja nichts mehr passieren.

 

Christof Beyer
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letzte Änderung: 05.12.2022