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LITERATUR
24. Juli 2002


Der Gestirne Schachfiguren?
Warum Stephen Fry's gutes Buch kein großes ist.

Wer Geschichten hören will, der muss seine Ungläubigkeit suspendieren.

Umberto Eco

 

Sein Lebensweg schien vorgezeichnet. Ned Maddstone war ein Vorzeigeschüler der englischen Eliteschule, er sah gut aus, hatte Erfolg, stammte aus einer traditionsreichen Familie, war Sohn eines einflussreichen Politikers und - frisch verliebt in die bezaubernde Portia. Doch nicht alle mochten ihn: Neid, Intrigantentum, Rach- und Eifersucht vereinten drei gegensätzliche Jungen, sich am Primus zu rächen. Was als derber Scherz gemeint war, dem unbeliebten Mitschüler Rauschgift unterzuschieben, nimmt plötzlich ungeahnte Dimensionen an, als die Polizei bei Ned eine verschlüsselte Nachricht der IRA findet, in dessen Besitz und ohne von deren Bedeutung zu wissen, er zufällig kommt. Im Ränkespiel der Geheimdienste wird er plötzlich zum Mitwisser, zur Gefahr und muss verschwinden, ohne zu begreifen, was geschah. Gequält und erniedrigt landet er als Häftling in einer Irrenanstalt auf einer kleinen Insel irgendwo vor der schwedischen Küste. Fast ist sein Wille nach zehn Jahren Einzelhaft gebrochen, als er den genialen Babe kennen lernt, Landsmann und Leidensgenosse, von dem er alles lernt und erfährt, was später für ihn von Bedeutung sein wird. Weitere zehn Jahre des gemeinsamen Lernens lehren den frühzeitig Gealterten nicht nur ein Dutzend Fremdsprachen und alles, was Philosophie, Literatur und Wissenschaft zu bieten haben, sondern er erschließt auch die bis dahin verborgenen Zusammenhänge seines Schicksals. Als Babe stirbt, ermöglicht er Ned in dessen eigenem Sarg zu fliehen und hinterlässt ihm zudem ein riesiges Vermögen.

Ned fasst neu Fuß im Leben, als Simon Cotter entert er die neue Finanzwelt, als Medienguru kehrt er zurück nach England, wo er auf ausgetüftelte Art und Weise - thoroughly thought through - fürchterliche Rache nimmt an all jenen, die in seinen Lebenslauf zwei Jahrzehnte zuvor gewaltsam eingegriffen hatten.

Als Graf von Monte Christo für die dot.com-generation wird uns das letzte Buch Stephen Fry's angepriesen, als "page-turner", als Einblick in die dunkelsten Gefilde der menschlichen Seele.

In ihm spielt das Schachspiel eine zentrale Rolle! Es symbolisiert den entscheidenden Wendepunkt in Neds ergreifender Geschichte. Denn hätte er den einstigen Agenten und nun in der Anstalt kaltgestellten Freund mit dem lächerlichen Namen Babe - ein Anagramm von Dumas' Romanfigur Abbè; Ned Maddstone ist das Anagramm von Edmond Dantès -, hätte er dieses Superhirn nicht beim Schachspiel angetroffen und hätten sie sich nicht über das Spiel kennen- und schätzen gelernt, Neds Schicksal nach zehnjähriger Isolation schien unabänderlich im geistigen Dämmerzustand enden zu müssen. Dabei muss alles konspirativ bleiben, geheim und unauffällig unter den wachsamen und doch unverständigen Augen der Wächter. "Wir werden keine Freunde sein, bis wir nicht eine Partie Schach zusammen gespielt haben. Du hast es in dir, eine anständige Partie zu spielen. Jedermann hat es in sich, eine anständige Partie zu spielen. Es ist nichts anderes als Gedächtnis und eine Weigerung, von sich selbst als geistigem Versager zu denken. Wenn eine Seele lesen und schreiben kann, dann kann sie auch Schach spielen."(214), so lautet die Bedingung des alten Weisen, der nun schon drei Jahrzehnte in der Klapsmühle verbrachte, doch dessen Geist noch immer hellwach ist.

So spielen sie denn Tag für Tag, Woche für Woche und als der allmählich wiedererwachte Ned bittet: "Wann können wir über etwas anders als Schach sprechen?", da erhält er die enigmatische Antwort: "Wenn du mich geschlagen hast" (216). Zwar versteht Ned nicht, was mit ihm geschieht, aber es geschieht doch mit ihm, zusehends nimmt das Spiel ihn in Bann, beginnen "diagonale Spannungen" und "energetische Kraftfelder" nächtlicherweise gegen seine Schläfen zu drücken, "Schach und die Macht jeder einzelnen Figur dominierten sein Leben. Er begann, Positionen in seinem Kopf leicht nachzuspielen, ohne das gesamte Brett anschauen zu müssen. Seine Fragen, einzig dem Schach gewidmet, begannen Babe zu gefallen" (216). Nach und nach gelingt es dem Schlitzohr, ganz nebenbei die großen Lebenslektionen zu lehren: "Du verwechselst hier Strategie mit Taktik. Die Strategie, verstehst du, ist der Schlachtplan, die große Idee. Wir werden die Schlacht gewinnen, wenn wir diesen Hügel einnehmen. Das ist deine Strategie, den Hügel zu besetzen. Wie willst du den Hügel besetzen? Ah jetzt, das ist deine Taktik" (216f.). Schließlich kommt, was kommen muss, das erste Remis und vom Erfolg angestachelt der erste Sieg, lange im Geiste vorbereitet: "Er schlief mit der Idee in seinem Geiste ein, dass er die Winawer Variante in der Französischen Verteidigung probieren sollte, von der er instinktiv wusste, dass Babe sie nicht besonders gern spielen mochte. Er erwachte mit der festen Idee, wie er gewinnen könne. Der Plan beinhaltete nicht nur reine Schachüberlegungen, sondern auch Psychologie". Und so verlief die darauffolgende Partie: "'Lass uns einfach spielen', sagte Ned launisch, innerlich flehend, dass Babes Königsbauer würde gezogen werden, aber stattdessen auf den c-Bauern starrend, als ob er auf eine Englische Eröffnung oder eine hinausgezögerte Damenindische Eröffnung hoffte. Mit einem Achselzucken spielte Babe Bauer nach e4 und Ned antwortete sofort, indem er seinen eigenen Königsbauern spielte, ihm entgegenzutreten. Babe zog seinen Springer nach f3 und Ned bewegte seine Hand zum Damenspringer, als ob er sich in eine Italienische oder Spanische Partie ergeben wollte. Dann zog er die Hand mit ärgerlichem Geräusch zurück und begann zu denken. Er benötigte fünf Minuten für seinen zweiten Zug, den schwerfälligen, scheinbar ultra-defensiven und amateurhaften Zug d6, der die Französische Verteidigung kennzeichnet. Babe fuhr fort, seine Züge in der gewohnten Art und Weise runterzurasseln, die Ned unsicher erwiderte. Sein Herz schlug schneller und schneller als jeder Zug die Stellung hervorbrachte, die er nachts zuvor geplant hatte und schließlich in die sehr scharfe Winawer Variante mündete, die er vorbereitet hatte. Ein Augenblick kam, in dem Ned mit größter Genauigkeit zu spielen hatte, um eine Falle zu vermeiden, die ihm den Verlust eines aktiven Bauern bescheren würde. Babe hielt sich nun zurück, den schnellen und offensichtlichen Zug zu spielen und Ned, den Kopf gesenkt, konnte aus den Augenwinkeln wahrnehmen, dass Babe den Kopf hob, ihn anzuschauen. Ned rührte sich nicht, sondern grübelte weiter über dem Brett, nichts preisgebend, als Babe, der den Fehler vermied, den einzig korrekten Zug spielte. Ned hatte nicht alles auf einen billigen taktischen Trick gesetzt, wie er es noch vor zwei Wochen getan hätte. Tatsächlich wäre er enttäuscht gewesen, wenn Babe darauf hereingefallen wäre. Er wusste, dass er eine gute Stellung hatte und das war alles, was zählte.

Nach einer Stunde Spannung und Stille hatte Babe einen Bauern weniger, er musste schlecht koordinierte Figuren führen um alle möglichen taktischen Reinfälle zu vermeiden. Wenn eine Stellung gewonnen ist, dann offerieren sich dem gewinnenden Spieler Dutzende von Angriffsattacken, Fallen und faszinierender Opfer. Ned war damit beschäftigt, ein spektakuläres Damenopfer zu erwägen, von dem er glaubte, es würde ein Matt in fünf, sechs Zügen erzwingen, als Babe seinen König umlegte und ein tiefes kräftiges Lachen von sich gab.
‚Ausgespielt, von Anfang bis Ende, du verschlagener Sohn einer Berghure.'
‚Du gibst auf?'
Natürlich gebe ich auf, du Hastardbund (dastardly bog) und umgekehrt. Meine Stellung ist voller Löcher, es ist ein Wunder, dass das Brett nicht auseinander fällt'" (218ff.).
Das alles "neun, nein, achteinhalb Wochen, seit du den ersten Stein in meine Richtung bewegtest". Das ging schnell und weiter geht's in diesem Tempo, nun, da Ned die große Lektion verstanden hat. "Es gibt keinen Spieler in der Welt, der dich nun einen Patzer oder einen Hasen nennen kann. Die Großen werden dich schlagen, das ist sicher, aber du wirst dich nie blamieren am Schachbrett.... ". Derart wiederaufgebaut, dürstet es ihn nach mehr, immer mehr: "Wirst du mich lehren, Babe? Lehre mich alles, was du weißt. So wie du es mit dem Schach gemacht hast. Lehre mich all die Wissenschaften und Poesie und Philosophie die du kennst. Lehre mich Geschichte und Geographie. Lehre mich Musik und Kunst und Mathematik. Wirst du das tun? Du weißt so viel und ich weiß so wenig. Eigentlich sollte ich nach Oxford gehen, aber…" (224).

Die lebensrettende Symbiose ist geglückt, beide sichern sich ihr Überleben "Ned wusste es nicht, aber die gemeinsamen Schachpartien waren Babes Rettung. Was immer sie für Ned bedeuteten, sie bedeuteten mehr für Babe" (225).
Schließlich wird Ned den Irrenknast als halbes Universalgenie verlassen.

Das Spiel hat damit seine Schuldigkeit getan, sowohl als gestalterisches Mittel wie auch in der Beziehung der beiden Leidensgefährten. Nur noch einmal wird es Erwähnung finden, am Rande nur und doch bewusst eingesetzt von einem Autor, der sichtlich nach formaler Geschlossenheit ringt und sie durch solch kleine kompositorische Tricks herzustellen glaubt, dann nämlich als die Beziehung der beiden, Jahre später, zwangsläufig endet, als Babe schließlich stirbt: "Ned saß am Schachbrett und wartete auf Babe. Sie spielten mittlerweile nur noch selten zusammen. Es brachte Ned in Verlegenheit, wenn er sah, wie leicht er den alten Mann schlagen konnte, und es störte ihn, dass Babe so willenlos schien, als interessiere es ihn nicht, wer gewinne" (263). An diesem Morgen erliegt der Alte einem Herzversagen, freilich erst nachdem es ihm gelang seinen willigen Schüler hollywoodreif in den raffinierten Fluchtplan einzuweihen. Als alles vorbei ist, Ned seinen Abschiedsschmerz zugunsten der tollkühnen Befreiungstaktik unterdrücken muss, da treffen wir ihn wieder am Ort, wo alles begann, am Schachbrett (269).

Der metaphorische Einsatz des Schachs im Roman ist überdeutlich, so sehr, dass es den einen oder anderen Leser verstören mag. Metapher des Lebens, Metapher des Kampfes, Metapher des Leides - man könnte es auch als Sammelsurium von Klischees begreifen. Die Richtung freilich war schon lange zuvor eingeschlagen, als Ned im Selbstgespräch sein Schicksal auf den griffigen Nenner bringt: "Mein Leben ist nichts anderes geworden als ein Spiel. Wie jedes Spiel kann es erheiternd oder tief kränkend sein" (184). War er bislang Figur im Lebensschach, so wird er jetzt selbst zum Meisterspieler.

Da das Spiel vom Autor derart mit Bedeutung belastet wird, muss es dem Leser erlaubt sein, dessen tieferen Sinn und Funktion zu untersuchen. In der Tat findet es an prominenter Stelle Eingang in das Geschehen, es markiert, wie gesagt, den Wendepunkt, allerdings auch in einem zweiten Sinne. Das Buch beginnt an dieser Stelle zu kippen, es verliert quasi seine Identität, selbst seinen Stil. Wenn Langeweile und Überdruss aufkommen, dann frühestens hier. Den Schachenthusiasten kann die ausführliche Behandlung des Themas nicht stören, den bloß Spannung Suchenden mag die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Spiel hingegen unnütz erscheinen. Denn weshalb sollte er mit einer Abhandlung über Eröffnungstheorie belästigt werden? Will hier nicht ein Autor, den man ohnehin immer wieder seine Intellektualität anrechnet, sein Image aufpolieren, will er sein Wissen loswerden, will er mit Bildung beeindrucken? Einen handlungstragenden Sinn kann man einer Passage wie der folgenden schwerlich zurechnen: "Während der nächsten acht Wochen ging Ned mit schmalen Stücken Papier am Körper versteckt, in seine Zelle zurück. Auf ihnen war die ganze Schachtheorie niedergeschrieben, all die Angriffe, Verteidigungen, Gambits, Kombinationen und strategischen Endspiele, die Babe kannte. Sein Einführungskurs begann mit Partien, gespielt von Phillidor (sic!) und Morphy und Meisterwerken der romantischen Zeit, Partien, die wie Gemälde Namen trugen: Namen wie "die Immergrüne", "die zwei Herzöge" und "die Unsterbliche". Ned wurde von diesen zum Zeitalter eines Steinitz und des modernen Stils geleitet, dann zu einem Verständnis einer positionellen Strategie, genannt "Hypermodern", die ihm viel Kopfzerbrechen bereitete. Es folgte eine Einführung in das Eröffnungsspiel und Gegenspiel, dessen Sprache Ned lachen machte. Caro Kann und Königsindisch, Sizilianisch und Französische Verteidigung, Gioco Piano und Ruy Lopez. Die Drachenvariante, Tartakower und Nimzowitsch. Abgelehntes Damengambit und angenommenes Damengambit. Der Marshall-Angriff. Das Maroczy-System. Der vergiftete Bauer" (213ff).

Wozu also? Wozu muss er eine Einführung in die Semi-Slawische Verteidigung haben? Und das auch noch mit "F3, bishop g2, castle short… Advance the c pawn, sacrifice him later for space on the queen's side … Exchange the bish for his knight and the black squares are mine…". Klingt das nicht eher verdächtig? Gibt es diese Semi-Slawische Variante mit f3, Lg2 und kleiner Rochade, sagt man im Schach nicht "castle kingside" statt "castle short", kann man die schwarzen Felder beherrschen, wenn man den eigenen Läufer weggibt?
Und was für ein Französisch ist das denn, das mit 1.e4 e5 2.Sf3 d6 beginnt?

Es sind diese zahlreichen kleinen Fehler und Ungenauigkeiten, die den Leser stutzen lassen und die ersten Überdruss wecken: Dass einer die Französische Verteidigung mit der Philidor-Verteidigung verwechselt, dass er die Winawer-Variante [1] erst nach einer ganzen Reihe von Zügen entstehen lässt, wo sie doch schon im dritten Zug erreicht ist [2] - gekennzeichnet durch 3...Lb4:
1.e4 e6! wenn schon Französisch
2.d4 d5!
3.Sc3! (Und nicht Sf3) Lb4!


Der kleine Unterschied:
Französische Verteidigung
(Winawer-Variante 3…Lb4)
Philidor-Verteidigung

 

Dass einer in Hamburg als deutscher Muttersprachler durchgeht, ohne je einen Deutschen sprechen gehört zu haben, um dann noch sein Gaststättenessen mit "prachtvoll" (im Original Deutsch) empfängt, dass einer in Schweden gefangen sitzt und nach den Fußballergebnissen von Trondheim fragt, dass einer Computer hackt, der wenige Monate zuvor zum ersten mal ungläubig ein Mobiltelefon sieht usw., das alles sind Störquellen - nicht nur das Haar in der Suppe -, die auf mehr als Unaufmerksamkeit verweisen.

Dabei ist Stephen Fry bekannt für sein Schachinteresse. Der Bestsellerautor - auch in Deutschland - ist auf der Insel mehr noch als Schauspieler (unvergessen die kongeniale Interpretation des Oskar Wilde) und Komiker bekannt, eine öffentliche Person. Sein Interesse am Schach ist unübersehbar. Die eigene Webseite führt Links zu namhaften Chessservern [3], frühzeitig hat er sich für das Schachsatiremagazin KingPin stark gemacht [4], ist dort selbst schachspielend abgelichtet (KingPin 14, S. 17ff.), ja hat selbst die Schacholympiade in Thessaloniki im Fernsehen präsentiert. Die schachliche Kompetenz wird man ihm vor diesem Hintergrund nicht absprechen wollen, auch wenn Französisch und Philidor nur für den blutigen Anfänger zum Verwechseln ähnlich sehen können. Aber vielleicht darf man an der literarischen Akkuratesse zweifeln.

 

Das Buch ist spannend, ohne Zweifel; dies ist sein größter Vorteil und wer Spannung erzeu-gen und halten kann, der versteht sein Handwerk schon zur Hälfte. Aber erlangt es diese Spannung nicht auf dem Rücken des namhaften Klassikers? Schon Dumas' Geschichte wurde aufgrund ihrer Unglaubwürdigkeit seiner Zeit streng gescholten. Fry unternimmt nichts, die-sen Mangel zu beseitigen, im Gegenteil. Er folgt dem historischen Vorbild auch in den Schwächen. Sobald er aber auf eignen Füßen stehen muss, und das beginnt eben mit besagter Schachszene, verliert er zusehends den Faden, die Geschichte wird hausbacken, der Schreibfluss verflacht, Moralismen werden in didaktischem Ton verbreitet (z.B.: Schaut euch ja keine Pornoseiten an und onaniert vielleicht sogar) und die weit übertriebenen Ge-waltphantasien, die wohl zu deutlich von einer unverarbeiteten Harris-Lektüre herrühren, sollten dem Eindruck zu "guter" Letzt abhelfen, erreichen aber nur das Gegenteil. Dabei stehen Fry jede Menge Möglichkeiten offen; nicht nur als schneller, auch als sensibler Autor weiß er gelegentlich zu überzeugen, immer dann wenn er psychologische Einsichten unaufdringlich serviert: die Liebe, die Macht des Wärters, die Logik des Irren - das ist vor-bildlich gelungen.
Es ist wohl Zweigs "Schachnovelle", die im Zentralabschnitt Pate stand: Als belesenem Mann und als Schachspieler kann sie Fry nicht unbekannt bleiben. Noch hier gilt, dass er deren Schwächen übernimmt, statt der Stärken.

Die Botschaft beider Werke für den Schachenthusiasten jedenfalls ist wohl diese: Gönne Dir ein paar Wochen Einzelhaft, schließe Dich ein mit einem guten Schachbuch (Zweig) oder einem brauchbaren Schachlehrer und du wirst, wie Phönix aus der Asche, als hervorragender, wenn nicht gar weltmeisterlicher Spieler hervortauchen. Warum ist bloß noch keiner darauf gekommen, diese einfache Idee im Selbstversuch zu verwirklichen? Gibt es denn keine ehrgeizigen Jünglinge mehr, die ein knallhartes Depravationstraining nicht verkraften könnten, die ein paar Wochen Extremschmerz nicht investieren wollen, um das Höchste zu erreichen, um Erfolg zu haben? Oder geschieht derartiges gar ungesehen hinter bürgerlichen Fassaden?

Fry mit Bruder beim Schach

Irgendwo hatte Umberto Eco über einen Fiktionsvertrag geschrieben, den jeder Leser unausgesprochen eingehe, wenn er zu einem literarischen Werk greift, und der ihn verpflichtet, das Fiktive a priori zu akzeptieren. Doch muss sich auch der Autor an diesen Vertrag halten und darf ihn durch übertrieben Unwahrscheinlichkeiten nicht unnötig belasten, gerade im nebensächlichen Detail. Fry scheint in seinem Erfolgsroman exakt gegen dieses Einverständnis verstoßen zu haben.

(Stephen Fry: The Stars' Tennis Balls. London 2001. 484 Seiten)

Unter http://books.guardian.co.uk/digestedread/story/0,6550,381558,00.html findet man eine auf eine Seite gekürzte Kurzfassung des Romans.
Eine der wenigen treffenden, da kritischen, Rezensionen des Buches findet man unter
http://www.uk-image.net/horse/tennis.htm

 

--- Jörg Seidel, 24.07.2002 ---


[1] Ausgerechnet die beiden Plauener Bundesligaspieler Kindermann und Dirr haben sich um diese Variante verdient gemacht, besonders nach: 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Lb4 4.e5 c5 5.a3 Lxc3+ 6.bxc3 Se7 7.Dg4 0-0. vgl.: Stefan Kindermann/ Ulrich Dirr: Französisch Winawer, Band I: 7.Dg4 0-0, Chessgate 2001, 352 S. und: Kindermann, Französisch 2. Chessgate 2001, VHS-Video
[2] NCO S. 277
[3] http://www.geocities.com/~quickfry/sizzle.htm
[4] http://www.koenig-plauen.de/Metachess/Polemik/kingpin.php


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