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LITERATUR
6. April 2005

John Luckless: Mörderschach

Spiele, immer Spiele. Wir gegen sie.

 

John Luckless’ ("auch bekannt als Clifford Irving und Herbert Burkholz") Buch "Mörderschach" ist die Mittelmäßigkeit übers ganze Gesicht geschrieben: Pseudonym, Titel, Umschlaggestaltung, Vorwort… alles deutet auf literarische Armut hin und das Buch hält tatsächlich, was es verspricht! Nur eine geistlose oder eine masochistische Seele kann da Genuss empfinden; von diesen Fehlformen abgesehen ist es wohl nur der Schachfreak, der Sammler, der sich 336 Luckless-Seiten freiwillig gönnt.

Hat man sich aber einmal in sein Schicksal ergeben und liest das Buch verzweifelt in einem Ritt, dann offenbaren sich überraschenderweise doch zwei, drei genussfähige Momente. Da ist an erster Stelle natürlich das geliebte Schach, das bereits in großen Lettern auf dem Umschlag prangt und dessen kompositorischen Missbrauch man gerne verzeiht: ob Gespensterschach, Todesschach oder Mörderschach – am Ende ist es doch das "Königliche Spiel". Da ist des weiteren ein gewisser Witz, ein angenehmes Tempo in der ansonsten unsäglichen Schreibe der amerikanischen Autoren und da ist schließlich eine, wenn auch niedrige, primitive, nur gelegentliche Spannung; nichts, was einem Gruselschauer über den Rücken jagt oder Schweißperlen auf die Stirn, aber doch genug, um den willigen Leser bei der Stange zu halten, um – in einem Wort – zu amüsieren.

Eddie Mancuso vom CIA und Wassilij Borgnew vom KGB haben vieles gemeinsam: beide sind die unangefochtenen Waffenspezialisten ihres Geheimdienstes, beide haben die Nase voll vom dauernden Morden und beide wollen aussteigen. Eddie ist das verlotterte Genie, unschlagbar auf seinem Gebiet, ansonsten aber kaum selbständig überlebensfähig, Wassilij dagegen ist der kühle Rechner, eiskalt aber im Basteln phantastischer Waffenvorrichtungen doch nur die Nummer Zwei. Kein Wunder also, dass die beiden Hochbegabten trotz Eisernen Vorhangs zusammenfinden, ja zusammenfinden müssen, um ihren Ausstieg zu organisieren. Werden ihre Pläne bekannt, sind sie tote Männer, das ist doch klar! Nicht nur die jeweiligen spezialisierten Killerkommandos haben sie am Hals, sondern auch den unfehlbaren CYBER, einen Hochleistungscomputer, der mit mathematischer Genauigkeit, bis auf die Stelle hinterm Komma, Verhaltensweisen voraussagt. So wissen die Geheimdienste denn eher als die potentiellen Delinquenten selbst, dass sie quittieren wollen: "Irrtumsrate dieser Prognose: 3,2%".

Auch wenn das faktischer Unsinn ist, macht es in der Fiktion, als Science Fiction, durchaus Sinn und kreiert eine recht intelligente Ausgangssituation. CYBER kann, wenn man so will, Gedanken lesen. Beide wissen von CYBER und also auch, dass er Gedanken lesen kann. Beide ahnen, dass sie, wenn sie erfolgreich fliehen wollen, die gesamte Sondergruppe (je fünf Profikiller) eliminieren müssen und sie wissen, dass die anderen das wissen und umgekehrt… Mit anderen Worten haben wir es mit einer Schachsituation zu tun: der kompliziertere richtige Gedanke gewinnt am Ende und richtig ist er nur, wenn Plan und Idee des Gegners korrekt vorausgesagt wurden.

Die Gedanken des anderen richtig zu erraten bedeutet aber die Zukunft zu wissen und dieses an sich unmögliche Wissen produziert immer wieder Paradoxien, insbesondere dann, wenn eine absolute Größe hinzukommt – wie der Tod. Eine ganze Reihe mittelmäßiger Filme bezieht aus dieser Konstellation seine Reize ("Die Zeitmaschine", "Total Recall", "Zurück in die Zukunft" etc.) und auch dieses Buch lebt partiell davon oder hätte gut davon leben können, denn leider beuten die Autoren die versteckten Möglichkeiten nur ganz grob aus und vertrauen lieber der gewöhnlichen Blut- und Actionlogik, gewürzt mit allzu direkten, quasi pornographischen Sexszenen: nach und nach werden eben auf mehr oder weniger raffinierte Art und Weise zehn Profikiller niedergemacht und ein Dutzend – das lässt sich leider nicht vermeiden – Umstehende dazu. Kreative Phantasie wird hauptsächlich in Beschreibung brutaler Abschlachtszenen sowie ungewöhnliche hochtechnisierte Methoden umgesetzt; man hat es eher mit Bastelfreaks statt Denkern zu tun. Das alles war auch schon da, besser natürlich. James Bond (vor allem als Film) und Arthur C. Clarks "HAL" scheinen unverblümt an tausend Stellen durch.

 

Das gilt auch dort, wo das Schach direkt Erwähnung findet; während das Messie-Genie "schlecht Schach und Puff" spielt (17), wird der Kronsteen-ähnliche eiskalte Russe als "meisterhafter Schachspieler" charakterisiert (74), der auch mal eine Kampfpause für ein Spielchen nutzt, eine Endspielstudie oder ein Matt in vier Zügen aufbaut und darüber brütet (246f.). Alles in allem ein Motiv, welches immer und immer wieder in diesem Genre auftaucht. Potentielle Gegner werden mitunter aufgrund ihrer Schachfähigkeiten eingeschätzt: "Artaega wird der ‚Messerstecher’ genannt, aber er ist viel mehr als das. Zum Beispiel spielt er Schach. Sie sind gut, Wassilij, bei vier Spielen schlagen Sie mich dreimal, aber Romeo nimmt Ihnen einfach einen Turm weg und macht Sie fertig. In Havanna hielt man ihn für einen zweiten Capablanca" (239, ähnlich. 262).

Schließlich spielt auch noch eine geheimnisvolle Frau (Typ Pussy Galore) eine Rolle, die von beiden Männern geliebt wird. Man schmiedet sogar gemeinsame Zukunftspläne: "Wenn alles vorbei ist – na ja, wenn die Umstände anders wären, würde ich Sie dahin mitnehmen, wohin ich gehe. Ich würde ihnen beibringen, wie man anständig Schach spielt, und wir könnten zusammen alt und quengelig werden" (284). Aber natürlich kommt alles ganz anders, ganz unerwartet und wer noch immer nicht ahnt, welcher der Helden letztlich triumphiert, nun, der muss leider in den sauren Apfel beißen und das Buch lesen.

John Luckless: Mörderschach. (The Death Freak) Moewig Verlag Rastatt 1980. 336 Seiten

 

 

--- Jörg Seidel, 07.04.2005 ---


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