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Schwammesucher unterm Brombeerstrauch
oder wenn ein Turmopfer keinen Pfifferling mehr wert ist
"Pilze sei für mich die Schachfiguren
des Waldes."
"Unterm Brombeerstrauch sucht net
gleich jemand nach Schwamme." (Peter Paul)
Lion Pfeufers Springeropfer war
eine Augenweide. Die beiden Remisangebote erreichten
seine Ohren dagegen kaum. Sie erschienen ihm wie monotone
Splitter im Hintergrundrauschen. Das Gesagte prallte
nahezu ungehört an der Schutzmembran zur Rößnitzer
Gedankenwelt ab, löste sich auf als Nichtssagendes
und wurde schließlich völlig ignorierend
in die Bedeutungslosigkeit abgeschoben, während
der kreativen Suchtiefe, richtig in die Königsstellung
des Leipzigers, Markus Schumacher, reinzuknallen. Eine
Panne gleich zum Saisonauftakt - wie im vorigen Jahr
- sollte dieses Mal zu Hause vermieden werden. Dass
Turm Leipzig, der Neuling in der 1. Landesklasse, nur
zu siebent ins Vogtland reiste, und also das zweite
Brett unbesetzt ließ, mochte höchstens ein
kleiner Bonus für die beinahe in Bestbesetzung
angetretenen Plauener sein, keinesfalls aber mehr. Denn
worüber Mathias Paul begann, sich den Kopf zu zerbrechen,
war aus Mangel an Möglichkeit nicht seine eigene
Partie, sondern die sieben anderen Partien sorgten ihn,
bei deren Beobachtung ihn der Kopfschmerz allzu bald
überfiel. Nicht nur, dass Sergej Lozovoy nur noch
Armani nach außen trägt, auch auf dem Brett
wurde lediglich Oberflächliches zur Schau gestellt.
Von Franziska Gasch ließ er sich im geschlossenen
Sizilianer den schwarzfeldrigen Läufer stibitzen,
um danach auf den schwarzen Feldern hoffnungslos unterzugehen.
Christof Beyer stellte seinen eben erst entwickelten
Läufer wieder zurück nach f1. Das entsprach
zwar in höchstem Maße der theoretischen Auffassung,
konnte aber durchaus zu Stirnrunzeln bei all denen führen,
die entweder solchen forcierten Varianten lieber aus
dem Weg gehen oder die glauben, dass Figurenentwicklung
immer nur nach vorn oder wenigstens seitwärts funktioniert.
Und wer Wettkampfschach überhaupt erst einmal kennen
lernen möchte, und das war bei einem so seltenen
Gast wie der Freundin von Johannes Titz zumindest nicht
ganz auszuschließen, bekam dann doch nichts
anderes vorgeführt als eine eben erst entwickelte
Figur, die ohne Zögern wieder auf ihr Ausgangsfeld
zurückgestellt wurde. Dass Johannes Titz auch noch
ohne Abscheu zum Froms Gambit griff, unterstrich vielmehr,
dass Schachspieler völlig schamlos sind, auch wenn
sie währenddessen gerade auf das Liebevollste in
Augenschein genommen werden. Überraschend schnell
streckte auch Lion Pfeufer seine Waffen. Dem schönen
Springeropfer hatte er zum Finale ein hübsches
Turmopfer obendrauf setzen wollen, um mit Dame und Keilbauer
unverzüglich den weißen König mattzusetzen,
doch diese Kombination kam leider ein bis zwei Züge
zu früh, denn Weiß fand den nahezu unmöglichen
Weg, wie die von der Verteidigung des Königs abgeschnittene
Dame diesem doch noch im allerletzten Moment zur Hilfe
kommen konnte, nach all dem investierten Material auch
noch siegreich. Einer Sinnestäuschung unterlag
auch Christian Hörr. Der gewählten Aljechin-Verteidigung
seines Gegenübers begegnete er schon in der Eröffnung
sehr aggressiv mit frühem Vorstoß auf der
h-Linie, und bald jonglierte er dort ebenfalls mit Turmopfermotiven
hin und her, die gegnerischen Möglichkeiten ließ
er dabei unterschätzend bis ignorierend außer
Acht. Spätestens nach diesem Partieverlust war
die Zuschauermigräne perfekt. Der kampflosen Leipziger
Punktvorgabe waren gleich drei Niederlagen hintereinander
gefolgt. Die Könige lagen bedrohlich 1:3 im Rückstand
und hatten aus eigener Kraft bei nur noch vier laufenden
Partien noch nichts Zählbares zu Stande gebracht.
Konnten da die vier restlichen Partien überhaupt
noch eine Wende bringen? Christof Beyer konnte vor der
Zeitkontrolle wenigstens auf 2:3 verkürzen. Der
Läufer, der noch einmal die eigene Grundstellung
besucht hatte, verhinderte nur wenig später die
gegnerische Rochade. Entscheidend für den Partieausgang
war aber erst der gefährlichere Freibauer
auf dem Brett, den dessen Gegner, Gerhard Ziese, bis
kurz vor Schluss nur als sehr unscheinbar wahrgenommen
hatte. Das Remis von Johannes Titz änderte nichts
am Rückstand der Plauener, aber zumindest an dessen
Erkenntnis, dass es jetzt nun doch langsam Zeit werde,
sich mit einer anderen Eröffnung zu beschäftigen.
Schon früher hätten die alten Leute laut aufgelacht,
sobald sich jemand in einer ernsthaften Partie beim
Eröffnungszug den Doppelschritt auf der f-Linie
getraute, gab Peter Paul der zukünftig beabsichtigten
Titz'schen Enthaltsamkeit, natürlich nur das Froms
Gambit betreffend, noch mit auf den Weg. Und wenn es
mit der Wahl des Studienfachs, außerhalb des Schachs,
ebenfalls Schwierigkeiten geben sollte, folgte gleich
noch eine Lebensweisheit hinterher: "Anrufen und
beleidigen, das hilft immer." Und irgendwie hatte
Andreas Götz genau das geschafft, die Stellung
seines Gegners, der im Endspiel Springer und Läufer
zusammen viel stärker eingeschätzt hatte als
Turm und Bauer, zu beleidigen. Doch wenn sich der Turm
vor lauter Bewegungsfreiheit tummeln kann, und das
wissen viele nicht, können die beiden Leichtfiguren
schnell in Bedrängnis geraten. Solche so genannten
Turmspieße, Bauer und den ihn deckenden
Springer gleichzeitig so anzugreifen, ohne dass der
Läufer die Farbe des Springerfeldes hat, ihm also
nicht verteidigend zur Hilfe eilen kann, ja solche Turmspieße,
die habe er gelernt. Und das wissen ja viele nicht,
was das ist, so ein Turmspieß. War sein Gegner,
Michael Apitzsch, schon von der Ablehnung des Remisgebots
irritiert, verstand er jetzt die Welt überhaupt
nicht mehr, denn nach dem Gewinn des vorgerückten
a-Bauern verfügte Andreas Götz auf einmal
über zwei verbundene Freibauern am Damenflügel,
die - vom Turm unterstützt - das eigentlich remisträchtige
Endspiel zu Gunsten des Plaueners kippten. Wenigstens
der Ausgleich war jetzt geschafft. Etienne Engelhardt
schien übergangslos an seine dunkle Caro-Kann-Vergangenheit
anzuknüpfen, zwischenzeitlich waren wie gewohnt
zwei Bauern auf der sechsten Reihe seine aggressivsten
Vorposten, und bis zur Beendigung der Zeitnotphase konnte
er den Stellungsnachteil nicht beseitigen. Doch während
des beruhigenden Luftholens seines Gegners kippte die
ganze Begegnung innerhalb von nur zwei Zügen. Im
41. Zug stellte der Leipziger, Klaus-Dieter Kläber,
zuerst einen Bauern hin, erschrocken darüber, im
nächsten Zug gleich noch eine Leichtfigur hinterher.
Manchmal reicht es eben aus, in der Zeitnot einfach
nur die Ruhe zu bewahren, gerade wenn beide Seiten nur
noch jeweils fünf Minuten Zeitpolster besitzen,
um noch so einige Züge zu absolvieren. Dann geraten
manchmal vor allem jene aus der Ruhe, die gerade einen
Schiedsrichterlehrgang besucht haben und trotzdem nicht
genau wissen, wer denn jetzt bis zum Kontrollzug genau
der Schreibpflicht unterliegt. Dann wird der Unterschied
zwischen Theorie und Praxis wieder in der Praxis größer
als in der Theorie. Theoretisch gilt allerdings
auch, dass es für die Plauener Mannschaft genau
dann zum Sieg reichen muss, wenn selbst der Teamchef
gewinnt. Und diese Theorie hat dieses Mal praktisch
gestimmt, obwohl einiges schief gegangen ist, sowohl
bei Lion Pfeufer, dem gerade erst frisch gekürten
Gewinner der Plauener Meisterschaft, als auch bei Sergej
Lozovoy, dem Plauener Vizemeister.
Ungenießbar.
35.
Th1+? 36. Sxh1 - Dh7 37. Dc3 - Kf7
38. Dc4+ - Kg7 39. d4 - Dh3 40. Df1 und Weiß kann
sich
noch retten. (Mit nur etwas mehr Geduld, 35.
Dh7!
36. Dc3 - Kg7, hätte Schwarz nach seinem Turmopfer
Th1+!
und der anschließenden Mattdrohung
Dh3
noch zum
Genuss finden können.) 1-0
Gegen Dauergast Leipzig-Südost,
den aktuellen Tabellenführer, darf freilich mit
so einer Glückspilzhäufigkeit nicht gerechnet
werden, zumal es noch eine Kleinigkeit gutzumachen gilt.
Wer Pilze finden möchte, muss dafür in den
Wald gehen. Um dabei besonders erfolgreich zu sein,
sollte man während der Suche vor allem geduldig
sein und ein ungewöhnliches Auge entwickeln. Unterm
Brombeerstrauch sucht jedenfalls nicht gleich jemand
nach Pilzen.
SK König Plauen
II
|
|
SG Turm Leipzig
|
4½
|
:
|
3½
|
Pfeufer,
Lion |
2031
|
|
Schumacher,
Markus |
2028
|
0
|
:
|
1
|
Paul,
Mathias |
2139
|
|
Hewig,
Dietmar |
2009
|
+
|
:
|
|
Lozovoy,
Sergej |
1995
|
|
Gasch,
Franziska |
1923
|
0
|
:
|
1
|
Beyer,
Christof |
2049
|
|
Ziese,
Gerhard |
1876
|
1
|
:
|
0
|
Götz,
Andreas |
2066
|
|
Apitzsch,
Michael |
1995
|
1
|
:
|
0
|
Hörr,
Christian |
1858
|
|
Steinmetzer,
Peter |
1885
|
0
|
:
|
1
|
Engelhardt,
Etienne |
1860
|
|
Kläber,
Klaus-Dieter |
1840
|
1
|
:
|
0
|
Titz,
Johannes |
1951
|
|
Hermann,
Markus |
1780
|
½
|
:
|
½
|
|
|