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1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2008/2009
 

Realitätenvermittler in der Junk-Bond-Abteilung
oder wenn Soljanka verkaufsfähig wird


"Jetzt kommt der Topscorer der vergangenen Saison." (Olaf Hilbig)

"Christof, bei dir ist es zu krass, du musst etwas kundenfreundlicher spielen." (Peter Luban)


Es gab Zeiten, und so lange sind sie noch nicht vorbei, da ließen sich Banker von Barleuten Drinks mit Goldstaub und potenzsteigernden Kräutern mixen – das Glas für umgerechnet 5.000 Euro. Yachten ohne Helikopterlandeplatz galten als unbequem und Ferienhäuser in der Toskana wurden für Millionen gekauft, nachdem die Interessenten sie einmal besichtigt hatten – virtuell im Internet, denn für Realitätssinn ist Zeit anscheinend viel zu kostbar, nicht aber für die Inszenierung des Anscheins, der Vortäuschung falscher Tatsachen. Keller wurden vergrößert, weil ein Schwimmbad nicht mehr schick genug war, denn es musste auch noch ein Sprungbrett installiert werden. Einen Ort, an dem Eigentümer und Betreiber schon immer gern kaufmännisch wie ästhetisch gegen die Wand gesprungen sind, und das mit voller Wucht, findet man im Plauener Stadtzentrum, unmittelbar hinter dem Theater. Ungezwungen und natürlich ist hier kaum etwas. Das Hotel mit angeschlossenem Restaurant, einer bayrischen Wirtshausimitation, erinnert an einen bunt bemalten Schuhkarton, seine Architektur ist eine einzige Zwangsvorstellungsharmonie, eingesperrt vom Faschistoiden im rechten Winkel. Die Küche des Hauses präsentiert sich als Illustration zwischen Anspruch, Anmaßung und daraus abgeleitetem Drang zur Nötigung. Das engagierte Personal meint es stets gut und macht es doch, in seiner steifen Wachsfigurenart, von der Ahnungslosigkeit getrieben, meistens schlecht. Wenn ein Garnelenspieß etwas über drei Euro kostet, zwei davon aber ungefähr zehn Euro, so wird der nachfragende Gast auch noch mit allerlei ohnmächtiger Erklärungsnotdurft bekleckert, dass nämlich beim einfachen Garnelenspieß zusätzlich noch ein Salat serviert werde. Aha. Wer beim Eintritt in die räumliche Leere noch nicht gefröstelt hat, der wird spätestens jetzt von der geistigen Verdunklung kalt erwischt.

 

Vielleicht liebäugelten die Leipziger Dauergäste, die Schachfreunde Leipzig-Südost, gerade aus diesem Grund wiederum eher mit dem Schnitzelparadies, auch wenn sie bei Bett und Frühstück vom Dormero nicht lassen können. Jenes gemeinsame Wohlfühlprogramm gehört vor dem Punktspieltag zu ihrer Standortbestimmung und wird beständig zelebriert wie ein Ritual. „Die anderen müssten auch gleich kommen, die sitzen bestimmt noch beim Frühstück, die haben doch wieder alle hier übernachtet.“ Sven Kreigenfeld konnte sich als Einziger von alledem entziehen und fühlte sich trotzdem nicht wohl. Im Moskauer System war ihm die genaue Theorie entfallen. Lion Pfeufer hatte mit Schwarz leichtes Spiel, schon in der Eröffnung frühen Ausgleich zu erreichen, und sogar ein bisschen mehr. Insofern willigte er in unbedrängter Position und mit riesigem Zeitvorsprung ziemlich voreilig ins Remisangebot seines Gegners ein. Kurz zuvor hatte auch Christian Hörr gerade den Punkt geteilt. In einer Nebenvariante der Sweschnikow-Verteidigung stand er immer unter strenger Beobachtung, hielt aber den skeptischen Blicken der Kiebitze bravourös stand. Mit dieser sizilianischen Spezialität unterzog er sich überhaupt erst zum zweiten Mal einem Praxistest. Auch an den anderen Brettern wurde bei der Eröffnungswahl variiert bis geneuert. Andreas Götz entdeckte beispielsweise seine alte Aljechin-Liebe früherer Tage wieder, und Olaf Hilbig sah sich mit dem Jänisch-Gambit konfrontiert, eine unangenehme Eröffnung, wenn auf der Suche nach dem verlorenen Selbstbewusstsein außerdem am Brett gleichzeitig die richtigen Züge wiedergefunden werden müssen. Aber das Repetieren geeigneter Züge schien Olaf Hilbig zu gelingen, die sofortige Stabilisierung des Punktes e4 und die danach bessere Bauernstruktur verschafften ihm einen anhaltenden Vorteil, und bei Andreas Götz waren es bereits zwei wichtige Mehrbauern, die ihm Kontrolle über das Spielgeschehen gaben. Nebenan bei Sergej Lozovoy brannte es schon wieder seit Eröffnungsbeginn, aber dieses Mal war nicht er der Feuerteufel, sondern dessen Gegner, David Toumanski, der mit dem Sizilianischen Gambit das Brett unter Feuer setzte. Mit einem Doppelschlag setzten sich die Plauener bald 3:1 ab. Andreas Götz entschied seine Partie bei vollem Brett im Mittelspiel, während Sergej Lozovoy erst einige Störenfriede vom Brett räumen musste, um schrittweise den Gambitbauern zu behaupten, bis es ihm schließlich gelang, in ein siegreiches Turmendspiel abzuwickeln. Dafür griff Olaf Hilbig mit Schmackes unachtsam in die Mülltonne. Dabei hatte er den erwarteten Punkt insgeheim schon als tatsächlichen verbucht. Als er jedoch eine ungedeckte Leichtfigur für einen Augenblick unbeaufsichtigt ließ, kollidierten plötzlich Wunsch und Wirklichkeit. Wenige Züge später musste er die Partie aufgeben. Den Ruhepol bildete Mathias Paul. Nach 1.d4 hatte er im späteren Verlauf allenfalls einen Minivorteil herausgeholt. Ein wenig wurde laviert, dafür viel mehr die Stellung vereinfacht. Keine Aufregung bis zum risikogerechten Unentschieden. Das zeugte von zurückgewonnener Solidität, die den Grundstein für ein überzeugendes Mannschaftsergebnis legte. Beim Zwischenstand von 3½:2½ liefen ja noch die beiden aussichtsreichen Weißpartien am vierten und achten Brett.

 

Dass für Caro-Kann mit Weiß die Bauern auf c3 und d4 gehören, darauf verwies schon Mathias Paul vor Spielbeginn, und genau das schien Etienne Engelhardt tatsächlich vorführen zu wollen. Doch da hatte er sich schon vom Alapin verabschiedet und war auf französisches Terrain ausgewichen. Dieser während der Eröffnung eingeleitete Rhythmuswechsel schien seinem Gegner, Jens Stöckel, ganz und gar nicht zu behagen, und in jenem Unwohlsein ließ er ihn bis zum bitteren Partieende. (Nach dem bereits zweiten Saisonsieg führt Etienne Engelhardt unverhofft in der Rangliste der so genannten Topscorer.) Thomas Filipiak fand mit Schwarz ebenfalls keine Freude. Der Neuzugang bei Leipzig-Südost (vorher Allianz Leipzig) wurde von Christof Beyer strategisch so lange gegrillt, bis das Schmerzempfinden verloren ging, so dass die Leipziger Gäste auffällig mit den Füßen scharten, und also wenigstens um einen Hauch kundenfreundlicher Gnade baten, die restliche Zeit vor dem Kontrollzug schon für die Heimfahrt verwenden zu dürfen. 5½:2½ – so hoch hatten die Plauener Könige noch nie gegen Leipzig-Südost gewonnen. Dieser Erfolg war gleichzeitig eine Revanche für die Niederlage in der vergangenen Saison.

Ungewohnter Damenbesuch. 29. e4! Der eingesperrte schwarze
König wird von der weißen Lady auf h3 mattgesetzt. 1–0

In einem anderen betonierten rechten Winkel, im Best Western Hotel, nur ein paar hundert Meter vom Garnelenspieß und Schnitzelglück entfernt, besteht man die Zwischenprüfung als Kochlehrling im zweiten Ausbildungsjahr dann, wenn die Soljanka verkaufsfähig ist. Schmecken muss sie nicht, denn nicht umsonst warnt das Hotelrestaurant am Straßberger Tor in eigener Sache: Gastronomie ist für alle da. Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Mediterran-leichte und vogtländisch-deftige Küche. Am Ende nichts von beidem. Planlos, ahnungslos und ohne Gefühl. Dann ist Rettung nur noch mit etwas möglich, das von Bankern gern als Leerverkauf bezeichnet wird, indem man also etwas verkauft, was man selbst noch nicht besitzt, in diesem Fall die eingebrockte Suppe, bevor man sie auslöffeln muss. Denn seit der Goldpreis steigt, wird wieder mehr Öl genommen und mit Wasser gekocht.

 

SK König Plauen II
SF Leipzig-Südost
:
Pfeufer, Lion
2031
Kreigenfeld, Sven
1980
½
:
½
Paul, Mathias
2139
Alf, Michael
1991
½
:
½
Lozovoy, Sergej
1995
Toumanski, David
1923
1
:
0
Beyer, Christof
2049
Filipiak, Thomas
1916
1
:
0
Götz, Andreas
2066
Frowitter, Jörg
1888
1
:
0
Hilbig, Olaf
2013
Altmann, Jens
1908
0
:
1
Hörr, Christian
1858
Haerdle, Benjamin
1864
½
:
½
Engelhardt, Etienne
1860
Stöckel, Jens
1853
1
:
0

 

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letzte Änderung: 05.12.2022