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1. LANDESKLASSE St. B – Saison 2008/2009
 

Heiße Keilerei am Kamin
oder Warten bis die Welle kommt


"Ich will Ihnen mal ein Geheimnis verraten. Wenn Sie ein Wildschwein mit einem Stock oder Besenstil an der Kehle kraulen, legt sich das sofort hin und schaut sie absolut friedlich an, wie das lieblichste und zahmste Hauskätzchen. Die gucken, als würden die sich auf eine gemeinsame Liebesnacht freuen. Wahrscheinlich haben die da ihren G-Punkt."

"Wenn ich das Wildschwein in der Metapher sehe, dann komme ich auf Shakespeares Richard III. Der hat in seinem Wappen das Wildschwein. Das ist für mich die frechste, kraftvollste und unverschämteste Signatur für einen König." (Claus Peymann)


Da sind sich ja alle Experten einig. Diesen Satz kann man oft hören, aber er entspricht beinahe immer der Unwahrheit, denn schon zwei Experten sind ohne Schwierigkeiten in der Lage, drei verschiedene Meinungen zu haben, abgesehen davon, dass es sich in den meisten Fällen ohnehin nur um selbst ernannte, und also um so genannte Experten handelt, denen es einzig darauf ankommt, mal wieder irgendeinen Satz gesagt zu haben, aber möglichst nicht zum Thema. Sobald das unwahrscheinliche Ereignis eintritt, sich alle Experten einig sind, ist höchste Vorsicht geboten. Wenn es beispielsweise darum geht, im Wald von Neu-Oelsnitz wieder Holz zu sammeln, dabei draußen die warme Sonne noch vom goldenen Herbst kündet, während drinnen in der Hütte das lodernde Feuer schon schwer gegen die Kälte anzukämpfen hat. Oft hat es dort im Wald gereicht, nur das grobe Brennholz einzusammeln, wie beim 5:3 und 6:2 vergangener Jahre. Beim 4½:3½ in der vorigen Saison musste aber auch schon einmal das Kleinholz zusammengekehrt werden. Dass aber das Holz einmal nicht ausreichen würde, darauf hätte keiner der Experten etwas gegeben – darin bestand unbestritten Einigkeit.

Vermutlich ließ sich das Zittern bei Peter Kühnrich und Bela Endt lediglich auf die Raumtemperatur zurückführen, vielleicht war es aber auch die Angst davor, dass hier gleich ein ganz anderer Wind wehen würde, oder aber die sichtbare Anspannung war Ausdruck existierender Ungewissheit, an welchem Brett Andreas Götz dieses Mal wohl spielen würde: am fünften Brett mit Weiß gegen Peter Kühnrich, den er erst Anfang des Jahres mit Schwarz hingerichtet hatte - oder am vierten Brett mit Schwarz gegen Bela Endt, den er eine Saison davor mit Weiß quälte, das schien hier die bange Frage zu sein. Und da es mit Schwarz in dieser Saison bereits zweimal so prächtig für Andreas Götz lief, warum also nicht auch ein drittes Mal und warum nicht schon wieder mit Hilfe seiner alten Waffe, der Aljechin-Verteidigung. Olaf Hilbig wechselte dagegen die Eröffnung, erreichte sehr schnell eine aktive Stellung gegen Peter Kühnrich, der ihm nach zehn Zügen die Punkteteilung anbot. Nach weiteren zehn Zügen wurde wiederholt um den halben Punkt nachgefragt, bevor dann der Eröffnungsvorteil zunehmend dahinzuschmelzen begann, und als der 30. Zug ausgeführt wurde, bekräftigte Peter Kühnrich noch einmal seine leidenschaftslose Absicht. Dieses Mal klang es jedoch nach Angebot und Drohung zugleich. In der betonten Letztmaligkeit dieser Remisofferte lag das Besondere, der Unterschied zum sonst gleichen Angebot. Olaf Hilbig wollte die Partie auf keinen Fall überziehen, und getreu der alten Schule, dass man nach einer verlorenen Partie, ein Remis nicht ausschlagen sollte, gab er dem nachdrücklichen Wunsch des Neu-Oelsnitzers doch noch nach. Mit einem Paukenschlag im 28. Zug beendete Lion Pfeufer seine Partie am Spitzenbrett. Beim passiven Pirc-Aufbau mit c6 ließ er Siegfried Landgraf von Beginn an keine Ruhe. Das Schlussbild, eine Komposition aus teuflischer Kreuzfesslung mit Mattdrohung und gleichzeitiger Überlastung der gegnerischen Dame, während im eigenen Lager beide Läufer gleichzeitig hingen, krönte eine überragend geführte Positionspartie. Auf Sieg hatte auch Christian Hörr im holländischen Aufbau gesetzt, aber die Aktivität am Königsflügel reichte nicht für einen vollen Punkt. Ganz im Gegenteil: Als er mit Turm gegen Läufer ins Endspiel überging, hatte er die Partie fast schon überzogen, das Remisangebot von Wolfgang Bär rettete ihn gerade noch davor, den optischen Qualitätsvorteil zu überschätzen. Mit einem Remisersuchen wurde auch Andreas Götz konfrontiert. Die Eröffnung ging bei ihm fürchterlich daneben, zwischendurch fehlten zwei Bauern, aber einen Gewinnweg konnte sein Gegner im Mittelspiel trotzdem nicht finden. So verringerte sich der Stellungsnachteil bis zum Kontrollzug immer mehr, bis er sich schließlich völlig verflüchtigte, anschließend eben jenes Remisgebot zu hören war. Doch da hatte Andreas Götz seine Nebelfahrt auf dem Brett beendet, und er beschäftigte sich längst mit besseren Aussichten, mit den Schwerfiguren die unbewachte gegnerische Königsstellung aus den Angeln zu heben. Und diese Auseinandersetzung gehörte zu den insgesamt fünf Partien, die nach über fünf Stunden Spielzeit immer noch andauerten.

Die 3:1-Führung der Plauener täuschte über deren brenzlige Gesamtsituation hinweg. Daniel Butzke, der kurzfristig Mathias Paul ersetzen musste, kämpfte in einer gedrückten, aber komplett geschlossenen Stellung gegen die Aktivitätsversuche Holger Rauchs. Bei Christof Beyer hatte der Mehrbauer im Endspiel zunehmend die Bedeutung eines Stellungsvorteils eingebüßt. Sergej Lozovoy verteidigte sich mit Turm und Leichtfigur gegen die gegnerische Dame, und Etienne Engelhardts Königsangriff verpuffte, so dass die gegnerischen Mehrbauern plötzlich größere Bedeutung gewannen. Daniel Butzke hielt den Angriffsbemühungen seines Gegners stand. Christof Beyer bot seinem Gegner Remis an, als die wenige Restbedenkzeit eine weitere Suche nach Verwertung des Mehrbauern nur noch zu einem Spiel mit dem Feuer geführt hätte. Und als es Sergej Lozovoy gelang, seine Festung dauerhaft gegen die Dame umsichtig zu verteidigen, hatten es die Plauener doch noch geschafft, sich in diesem kräftezehrenden Mannschaftskampf die notwendigen 4½ Punkte zu sichern. Mancher unter den Experten wollte sogar den bisher spannendsten Mannschaftskampf überhaupt erlebt haben. Dass Etienne Engelhardt am Ende im Gegenangriff überrannt wurde, spielte keine Rolle mehr und gehörte zu dieser besonderen Punktspieldramatik. Solange das Match in trockenen Tüchern ist, bevor also die gegnerische Mannschaft anfängt, eine Partie zu gewinnen, kann man sich beruhigt der Kunst der Beiläufigkeit hingeben, indem man gemütlich am Kamin sitzt, auf die Welle wartet und trotzdem nicht nass wird.

Grunzen und Grummeln. 28. De7! Beide weißen Läufer
hängen, aber keiner darf genommen werden, denn es droht
Matt auf f8. Außerdem droht sehr unangenehm Lf3. Danach
ist die Dame mit der Deckung des Springers überlastet. 1–0

Nach dem dritten Sieg in Folge befinden sich die Könige hinter Lok Leipzig-Mitte III. auf dem zweiten Tabellenplatz. Vor dem Lokalderby gegen den VSC 1952 Plauen wartet eine siebenwöchige Saisonauszeit. Manchmal kommt es darauf an, ein gutes Gefühl für das zu haben, was andere erschreckt. Denn es sieht fast so aus, als würden sich schon wieder alle Experten einig sein. Dann kann es einem so ergehen wie Asterix und Obelix: Man trifft unterwegs ein paar Wildschweine und wird schwach.

 

SV Neu-Oelsnitz
SK König Plauen II
:
Landgraf, Siegfried
2032
Pfeufer, Lion
2031
0
:
1
Jänig, Reinhard
2110
Lozovoy, Sergej
1955
½
:
½
Opitz, Frank
1826
Beyer, Christof
2049
½
:
½
Endt, Bela
1998
Götz, Andreas
2066
0
:
1
Dr. Kühnrich, Peter
1940
Hilbig, Olaf
2013
½
:
½
Bär, Wolfgang
1834
Hörr, Christian
1858
½
:
½
Steinhardt, Jürgen
1766
Engelhardt, Etienne
1860
1
:
0
Rauch, Holger
1847
Butzke, Daniel
1914
½
:
½

 

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letzte Änderung: 05.12.2022