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1. LANDESKLASSE SACHSEN St. B – Saison 2008/2009
 

Gestrauchelt und verschaukelt
oder ein Rendezvous mit dem Gesetz der Serie


"Schwebe wie ein Schmetterling, steche wie eine Biene." (Muhammed Ali)

"Und wieder ist ein halber Punkt verschenkt." (Kurt Richter, Internationaler Meister)


Er habe noch die Ehre gehabt, mit den Drei Großen Ws in einer Mannschaft zu spielen, schwärmte Andreas Götz während seines Gedankenausflugs in vergangene Zeiten, so dass er beim Bier in der Eiche, in der winterlichen Höhenlage Markneukirchens, ganz stolz strahlte, an jenem Vorabend des vorletzten Punktspieltages in der 1. Landesklasse, er aber genau deshalb heute nicht zu viel vom Bier trinken dürfe, denn jedes geleerte Glas würde in seinem Alter am nächsten Tag fünfzig Wertzahlpunkte kosten. "Bringen Sie mir bitte das nächste Mal eine Tulpe, aus so einem Humpen hier trinke ich nicht so gern." Früher, ja da wurde grundsätzlich vorher aufgegossen, als er noch das Jugendbrett besetzte, zusammen mit den Drei Großen Ws in einer Mannschaft: Winkler, Wilfert und Weber. Wolfgang Weber war ja vor allem als Problemschachkomponist berühmt geworden. Selbstmatts waren seine absolute Spezialität, das Selbstmatt mit einzügigem Satzspiel, das ja ein ganz besonderes unter den Selbstmatts sei, so Andreas Götz, ein Selbstmatt, das auch als Selbstmatt vom Weber-Typ bezeichnet wird. Dass es einen großen Unterschied zwischen Selbstmatt und Hilfsmatt gibt, kann man ja aber nur wissen, wenn man sich für Problemschach interessiert - und er habe sich ja sehr dafür interessiert, gerade als Jugendlicher. Auch im Nahschach sei er unerbittlich gewesen, der Wolfgang Weber. Schon die Konzentrationsphase vor dem nächsten Zug war für den Gegner wie ein Erlebnis am Marterpfahl: "Die Webse saß immer da und hat mit den Fingern auf seiner Glatze getrommelt", so Andreas Götz in seiner weiteren retrospektiven Betrachtung. Der Trommelwirbel verstummte erst in dem Moment, wenn der nächste Partiezug ausgeführt wurde, die Schachfigur zum nächsten Stich über das Brett schwebte. Die Wunde danach blieb für immer.

Beinahe stärker als Stamm empfingen die Plauener Könige die Gäste aus Delitzsch im Hotel Alexandra. Zwar pausierten Olaf Hilbig und Christian Hörr, dafür standen aber der aus Norwegen zurückgekehrte Matthias Hörr und Ersatzspieler Tobias Franz zur Verfügung.

Die Nebenvariante des Zweispringerspiels im Nachzug mit b5 ist bei den Delitzschern sehr beliebt. Michael Preussner pflegt sie schon seit vielen Jahren in seinem Repertoire, und auch Dr. Michael Kirchhof griff dieses Mal nach dieser scharfen Spezialität, die allerdings von beiden Seiten verlangt, theoretisch bestens präpariert zu sein, um mehr als nur den Eröffnungsbeginn ohne Blessuren zu überstehen. Nach der stärksten und zugleich einzig plausiblen Erwiderung von Weiß im sechsten Zug geriet Schwarz einen Zug später schon auf die schiefe Bahn. Bis zum 15. Zug, am Ende eines forcierten Überfalls, hatte Christof Beyer bereits einen Turm und zwei Bauern mehr, der Grundstein für die Führung zum 1:0 nach einer weiteren Stunde Spielzeit. Sehr solide legte Sergej Lozovoy daraufhin nach. Bei ihm reichten zwei Mehrbauern im Turmendspiel zum nächsten Sieg für die Plauener.

Nach diesem rosigen Auftakt kam der Vorwärtsdrang der Plauener Könige jedoch zunehmend ins Stocken. Als Lion Pfeufer seinen König über Umwege auf der langen Rochadeseite in Sicherheit gebracht hatte, wurde der Druck für ihn auf der einzigen offenen Linie zunehmend größer. Mit einem verzweifelten Leichtfigurenopfer kurz vor dem Partieende konnte er Andreas Friedrich nicht mehr beeindrucken. Nur wenig später nach der Zeitkontrolle stellte er seinen gestarteten Angriffsversuch ein. Die einzige offene Linie hatte sich wieder geschlossen, mit einem Freibauern kurz vor dem Umwandlungsfeld. Sehr problematisch sah es auch an den hinteren Brettern aus: Der Hundertprozentige Andreas Götz kämpfte mit zwei Bauern weniger im Schwerfigurenendspiel. Kurz zuvor hatte es noch den Anschein, als würde er bald wieder Motive aufs Brett zaubern, mit denen er schon Alexander Klassen, Dr. Thomas Prause und zuletzt Andreé Rosenkranz aller Illusionen beraubte. Etienne Engelhardt stand im Endspiel mit Turm und Leichtfigur ebenfalls mit zwei Bauern in der Kreide, und Matthias Hörr fehlten sogar drei Bauern.

Aber dann trugen sich in der Folge Dinge in Serie zu, die am Rande des Absurden lagen. Im Turm-Leichtfiguren-Endspiel gewann Etienne Engelhardt plötzlich eine Figur, vorausgegangen war ein Qualitätsopfer im Zentrum. Als Gegner Heiko Dietrich den Turm nur mit dem König wiedernehmen konnte, standen König und Turm im diagonalen Ernährungsraster des weißfeldrigen Läufers. Der Turm ging also im nächsten Zug verloren, so dass Etienne Engelhardt nun einen Läufer und zwei vereinzelte Bauern auf dem Königsflügel gegen die vier verbundenen Bauern seines Gegenübers hatte. Der Delitzscher, dem nach dieser taktischen Überraschung die Farbe ins Gesicht schoss, erkannte nicht mehr, dass das, was auf dem Brett übrig blieb, immer noch unverändert eine Gewinnstellung für ihn war. Parallelisiert lenkte er ins Remis ein. Nachdem Matthias Hörr im Mittelspiel beinahe ganz simpel eine Figur verloren hätte, entstand etwas später nach fragwürdigem Turmabtausch ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern, das sich ebenfalls im Unentschieden auflöste, weil der Hörr'sche Läufer alle drei Mehrbauern auf einer Diagonalen kontrollierte. Dass er vielleicht die Türme doch nicht hätte tauschen sollen, fiel Sören Laube noch nach der unabsichtlichen dreimaligen Stellungswiederholung ein. Fast alles hatte sich in dieser Partie zufällig abgespielt. In einem Endspiel mit jeweils einem Turm und aber gleichfarbigen Läufern befand sich dagegen Mathias Paul. Kompromisslos spielte er auf Sieg, wollte er doch wenigstens eine Partie in dieser Spielserie gewinnen. Über einen kleinen Vorteil verfügte er von Beginn an, einen Bauern mehr hatte er auch, nur über die genaue Gewinnverwertung war er sich noch im Unklaren. Michael Preussner glaubte, im 45. Zug eine Remisschaukel gefunden zu haben, der aber Mathias Paul auswich, indem er seinerseits eine kleine Ungenauigkeit sofort korrigieren konnte. Als sich Michael Preussner ahnungslos an einem ungeschützten Bauern vergriff, staunte Mathias Paul nicht schlecht. Der Blickkontakt verriet ihm, dass sein Gegner noch nichts von dem eben angerichteten Schaden mitbekommen hatte. "Das ist jetzt aber Matt." "Oh!" Und tatsächlich bereitete ein einzügiges Matt dem Grübeln über den Gewinnweg ein abruptes Ende. Und so scheint auch fürs Endspiel die Regel zu gelten, dass man den Bauern auf b2 nicht mal wegnehmen darf, wenn es gut ist. Dem König von Andreas Götz wurden in der Brettecke zu diesem Zeitpunkt gerade alle Felder genommen, zusätzlich von einem Keilbauern festgenagelt. Nach dem zwangsläufigen Damentausch schlitterte er in ein hoffnungsloses Turmendspiel mit zwei Bauern weniger. Der Turm war die einzige Figur von ihm, die noch bewegungsfähig war, die sich also nun permanent zum Opfer anbot, dieses Mal also nicht Mattmotive seine Siege krönen sollten, sondern ein Pattmotiv ihm den unerwarteten halben Punkt sicherte. In diesem Fall war sogar das Unentschieden ästhetischer als der Sieg. Und obwohl der Leistungsunterschied zwischen Andreas Götz und Dr. Jürgen Friedrich vier Bier betrug (nach Legaldefinition in der Eiche von Markneukirchen), wurde es am Ende doch eine hauchdünne Angelegenheit.

Nach den drei verschenkten halben Punkten der Delitzscher stand es plötzlich 4½:2½. Da konnte sich Tobias Franz in bequemer Stellung dieses Mal gegen Christin Reinsdorf ganz beruhigt ein Remis genehmigen. Der achte Mannschaftssieg in Folge war ein durchaus glücklicher. Oder wie es Peter Luban beobachtete: "Oh, hier waren die Eukalypten am Werk." Wenn es eben einmal läuft – oder eben ganz und gar nicht, wie beim ESV Delitzsch, der auf dem vorletzten Tabellenplatz nur noch bangen und hoffen kann.

Verschaukelt. 44. Te6 - Ld7 45. Te2 - Lb5 46. Te7 - Tb8
47. Ke3 - Tb6 48. Kf4 - Lc4 49. Lxa4 - Txb2?? 50. Td7# 1–0

Es kam in dieser Saison nicht häufig vor, dass Ersatzspieler aushelfen mussten. Mit jeweils einem halben Punkt haben sie ausnahmslos ihre Aufgabe erfüllt. Das kleine Erfolgsgeheimnis für den Wiederaufstieg in die Sachsenliga liegt nämlich vor allem in der stabilen Stammaufstellung begründet. Mit 7½ aus 8 ist das Ergebnis von Andreas Götz immer noch überragend, gefolgt von Christof Beyer mit 5½ aus 6 und Etienne Engelhardt mit 5 aus 7. Sechs Mannschaftspunkte Vorsprung vor der letzten Runde Ende März. Die Webse hätte vor Freude getrommelt. Am 18. März wäre sie übrigens 100 Jahre alt geworden. Darauf noch ein Kleines.

 

SK König Plauen II
ESV Delitzsch
5
:
3
Pfeufer, Lion
2035
Friedrich, Andreas
1996
0
:
1
Paul, Mathias
2139
Preussner, Michael
2054
1
:
0
Lozovoy, Sergej
2007
Sachse, Dirk
1996
1
:
0
Beyer, Christof
2049
Dr. Kirchhof, Michael
1922
1
:
0
Götz, Andreas
2066
Dr. Friedrich, Jürgen
1874
½
:
½
Engelhardt, Etienne
1860
Dietrich, Heiko
1821
½
:
½
Hörr, Matthias
2055
Laube, Sören
1728
½
:
½
Franz, Tobias
1706
Reinsdorf, Christin
1615
½
:
½

 

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letzte Änderung: 05.12.2022