62. Silberpokalturnier in Bad Aibling

Bad Aibling, malerisch am Fuße der bayrischen Alpen gelegen, ist in jüngerer Zeit eher als zwielichtiger BND/NSA-Standort als mit seinem schmucken Kurpark oder der bekannten Therme in den Schlagzeilen gewesen. Dort findet alljährlich im August das nach eigenen Angaben älteste deutsche Schachopen in Form eines Mixed-Mode-Turniers statt. Spieler, die aus der Pokalrunde ausgeschieden sind, spielen parallel mit ihren bis dahin erzielten Punkten im Schweizer System weiter. Christian Hörr probiert derzeit diese neue Erfahrung aus, um sich auf dem Nachhauseweg spätabends wahlweise weiter freuen oder ärgern zu können. Nach einem überzeugenden Schwarzsieg in Runde 1 sprang am Geburtstag trotz optischer Überlegenheit nicht mehr als ein zähes Remis heraus. In der anschließenden 10-Minuten-Partie wurde dann bei einer Mehrfigur zünftig ein ganzer Turm eingestellt, K-S gegen K-T im Bullet-Style aber noch remis gehalten. Versuch Nr. 2 ging dann schließlich weniger spektakulär zugunsten des Plaueners aus.

Update 14.8.: „Der Pokal hat seine eigenen Regeln.“™ In Runde 3 setzte an den vorderen Brettern das große Favoritensterben ein. Auch Christian fühlte sich in seiner Rolle als Underdog gegen FM Thomas Lentrodt sichtlich wohl und zeigte sich im vorbereiteten Maroczy-System gegenüber dem Vortag stark verbessert. Flüssiges, aktives Spiel hinterließen beim Bundesligaspieler vom FC Bayern München sichtlich Eindruck, der zwar bis weit nach 23:00 Uhr im Endspiel noch alles versuchte, aber doch keinen Gewinnweg fand. Die anschließende mitternächtliche Blitzpartie, die der Favorit nach ein bisschen Geplänkel schließlich doch souverän für sich entschied, war insofern bedeutungslos geworden, da im Pokalmodus solange mit Remisen aufgefüllt wird, bis die notwendige Spieleranzahl erreicht ist.

Brett 1: Hörr, Christian - FM Lentrodt, Thomas ½:½

Brett 1: Christian Hörr – FM Thomas Lentrodt ½:½

Auch in Runde 4 lief die Eröffnung zunächst prächtig. Gegen einen Königsindischen Angriff wurde ein schwarzer Bauernkeil schnell bis nach c3 getrieben, wonach sich der Bad Neustädter Hans Weck (2008) gezwungen sah, die Qualität für zwei Bauern zu opfern. Ganz dem alten Phlegma folgend wurde daraufhin im Geiste nur die gegnerische Kompensation stark geredet, sodass dessen Remisangebot gar nicht so ungelegen kam. Die Engine bewertet an dieser Stelle die weiße Stellung allerdings schon als hoffnungslos verloren (–2.50). Da war sie wieder, die gefühlte Spielstärke … Nur folgerichtig ging dann auch der Stichkampf mit 0,5:1,5 verloren, sodass der Pokalspuk damit nun endlich vorbei sein sollte.

Update 16.8.: Etwas unerwartet lief die 5. Runde doch noch unter der Überschrift „Achtelfinale“. 100%-Mann Christian Graf (2018) brachte den Namensvetter durch eine simple Zugumstellung im Caro-Kann derart aus der Vorbereitung, dass dieser völlig den Faden verlor und schon nach 22 weißen Zügen entnervt aufgab. In der Nachmittagsrunde (ab hier wieder Schweizer System) bestand die Kunst vor allem darin, eine damen- und läuferlose Stellung im Angenommenen Damengambit im Gewinnsinne zu verkomplizieren. Das mochte lange Zeit nicht so recht gelingen, aber nach einigem Lawieren ging der gegnerische Isolani dann doch noch verloren. Den Mehrbauern musste Christian dann nicht mehr verwerten, da es der Gegner schaffte, im Springerendspiel eine ganze Figur einzustellen.

Update 17.8.: Im Duell mit dem Münchner Talent Simon Leeb (1719) stand erstmals die Rossolimo-Variante zur Diskussion, die Christian zunächst auch ganz im Sinne Viktor Bologans behandelte. Nach der thematischen Öffnung des Damenflügels ging alsbald ein schwarzer Bauer vom Brett. In der Folge gab es gleich mehrere taktische Gewinnwege. Als diese Chancen schließlich verstrichen waren, wurde unter allen vorteilhaften Endspielen auch noch das schwierigste gewählt (S vs. L). Angesichts völliger Planlosigkeit half Christian immerhin am Bau der gegnerischen Festung mit und willigte um kurz vor Mitternacht schließlich ins Remis ein. Entsprechend niedrig war die Motivation für die heutige Schlussrunde, wo gegen einen c3-Sizilianer nichts herausgeholt werden konnte. Abermals Remis nach 18 Zügen.

Als immerhin Wertungsbester mit 4½ aus 8 und minimalem DWZ-Verlust bleibt als Trost noch nicht mal die Tatsache, als Einziger etwas Zählbares gegen den Turniersieger geholt zu haben – denn Thomas Lentrodt verlor heute überraschend das Finale gegen Constantin Müller. Was also nützt ein tieferes Schachverständnis ohne den entsprechenden Punch?!