Angreifen und gewinnen mit dem Wolga-Gambit: Roland Pfretzschner dreht auf

Live-Übertragungen sind für die Produktivität des berufstätigen Schachspielers nicht gerade förderlich, noch dazu wenn man den Gedanken und Plänen auch ohne launigen Großmeisterkommentar und Engine-Unterstützung folgen kann. Hin und wieder ertappt man sich sogar dabei, offensichtliche Aussetzer im Selbstgespräch zu kommentieren, so z. B. die peinliche 11-zügige Miniatur von Nikolas Lubbe gegen Felix Graf aus Runde 2.

Absolut sehenswert ist dagegen bisher das Spiel von Roland Pfretzschner. Obwohl ihm die Losfee nach vier Runden nun schon dreimal Schwarz bescherte, steht er mit 2½ Punkten bspw. genauso gut da wie Titelverteidiger Daniel Fridman, der heute gegen Klaus Bischoff unterlag. Mit seiner alten Leidenschaft, dem Wolga-Benkő-Gambit, kam Roland sowohl gegen FM Vitali Braun (2403) als auch gegen FM Jaroslaw Krassowizkij (2381) schnell zu gutem Spiel. Braun gab den Gambitbauern zügig zurück, musste dann aber bald eine Figur für zwei Bauern nachlegen, um nicht völlig erdrückt zu werden. Schwarz war in der Folge etwas unkoordiniert und wurde vom gegnerischen Turm und Springer unangenehm dominiert. Da die weiße Kompensation offenbar ausreichend war, einigte man sich schließlich auf Remis.

Krassowizkij lief mutmaßlich ebenfalls in eine vorbereitete Variante, an deren Ende Roland sogar einen zweiten, dritten und vierten (!) Bauern gab, um abermals einen Läufer abzuräumen. Es entwickelte sich eine komplizierte Stellung, in der die weißen Bauern eher den gegnerischen als den eigenen König schützten. Roland zeigte wunderbar auf, dass die weiße Struktur bereits ungesund überdehnt war und stellte mit 35…De2 die ersten unangenehmen Fragen. Weiß kollabierte nun in Zeitnot überraschend schnell, da er offenbar übersehen hatte, dass nach 37.Td1?? Da2 38.d6 der schwarze Turm auf f7 plötzlich gedeckt ist und 38…Sf4–+ die unmittelbare Aufgabe erzwingt (z. B. 39.Dh2 Se2+ 40.Kh4 Tf4+ 41.Kg5 Dg8+! 42.Kh5 Dg6#). Abermals ein bärenstarkes Finish!

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Morgen ist Roland – zur Abwechslung mit Weiß – gegen IM Michael Kopylov erneut Außenseiter, allerdings mit dem Momentum auf seiner Seite.